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Gerhard Fessler: Software-Entwicklung in China

Gestern Abend trug Gerhard Fessler bei der Regionalgruppe Stuttgart / Böblingen vor über das Thema "Software-Entwicklung in China". Darin fasste er seine jahrelange Arbeit als CMMI-Auditor in diesem Land zusammen.

Damit wir die Größenordnungen richtig einschätzen können, verglich er die Größe Chinas mit "Europa bis zum Ural". Allerdings leben dort doppelt so viele Menschen wie in Europe auf derselben Fläche. Dabei konzentrieren sich Bevölkerung und Metropolen vor allem im Osten des Landes. Die Größenordnungen der Einwohnerzahlen der Städte übertreffen unsere Maßstäbe.

Im Alltag ist die Digitalisierung weit fortgeschritten: Mobilzugang gibt es überall in den Städten, und bezahlt wird nur noch mit dem Smartphone. Interessant fand ich auch die Information, dass die chinesische Schrift sprachunabhängig ist und genauso gut auch die deutsche oder andere europäische Sprachen dokumentieren könnte.

Die chinesische Arbeitskultur und Lebenseinstellung beeinflussen, was der Auditor vor Ort vorfindet. Obwohl oder vielleicht gerade darum, weil China ein Land von Formalismen und Bürokratie ist, brechen Chinesen gerne Regeln, und es stört sie auch nicht, wenn andere das tun. Nur wenn sie direkt darauf angesprochen werden, werden Regeln befolgt. Die Menschen sind offen für Neues und passen sich schnell an. Die Firmen investieren intensiv in Aus- und Fortbildung.

CMMI ist in China sehr verbreitet. Die Regierung fördert die Digitalisierung und fordert von den Auftragnehmern öffentlicher Aufträge ein CMMI-Level von mindestens 3. In den zu entwickelnden Provinzen finanziert sie sogar die Kosten für die Zertifizierung. Dank CMMI entstehen selbst in kleinen, jungen Firmen saubere Entwicklungsprozesse. Es ist durchaus möglich, dass so ein Unternehmen innerhalb von anderthalb Jahren von null auf CMMI-Level 3 kommt. Wasserfall-Projekte bzw. Stage-Gate-Prozesse herrschen vor. Agile Vorgehensweisen würden zur Kultur nicht passen.

Die Software-Firmen arbeiten sehr kundenorientiert und erfüllen die Anforderungen des Kunden. Allerdings auch nicht mehr als das. Fordert der Kunde nicht ausdrücklich Security und Safety ein, werden diese bei der Entwicklung nicht berücksichtigt. Da machen Payment-Systeme keine Ausnahme. Damit werden technische Schulden angesammelt. Zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wird täglich kommuniziert, genauso auch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter. Ein Vorgesetzter führt hier maximal vier Mitarbeiter/innen. Der Führungsstil ist fürsorglich-bestimmend.

Oft werden mehrere ähnliche Projekte bei verschiedenen Software-Firmen beauftragt und anschließend entschieden, welche Lösung landesweit zum Einsatz kommt. Für die technische Realisierung wird selten etwas neu programmiert, sondern stattdessen auf Frameworks gesetzt. Dies führt in der Regel zu einer schnellen 80%-Lösung, was aber akzeptiert wird.

Als deutscher Auditor in China genießt man mehr Vertrauen als ein einheimischer. Chinesen misstrauen einander prinzipiell. Vereinfacht wird die Zusammenarbeit durch die Ähnlichkeit der chinesischen und deutschen Körpersprache sowie durch die Toleranz der Chinesen.

Wie sieht die Zukunft von Chinas Software-Entwicklung aus? Herr Fessler sagt: "Die Kunst ist nicht der Aufbau. Die Kunst ist, oben zu bleiben." Er attestiert Deutschland in dieser Hinsicht gute Erfolge, was das Publikum erstaunte. Hört man doch allerorten nur Jammern und die Befürchtung, die deutsche Software-Entwicklung könne international nicht mithalten. Auf keinen Fall ist China ein mächtiger Feind, der uns unterbuttern möchte, sondern sie wollen nur einfach groß und reich werden. Ob sie das schaffen, muss sich zeigen. Dies hängt davon ab, wie sie mit den technischen Schulden klar kommen, die sie momentan im rasanten Wachstum anhäufen. (Wobei ich persönlich glaube, dass sie dank ihres Pagmatismus Altsysteme ohne viel Federlesens einstampfen, wenn sie sich nicht mehr rentieren.)

 

 

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