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Rezension: „Maschinen wie ich“ von Ian McEwan

Der Roman „Maschinen wie ich“ von Ian McEwan behandelt die künstliche Intelligenz. Er spielt in einer alternativen Realität. Alan Turing, der britische Pionier der Informatik, beging nicht 1954 Selbstmord, sondern ist inzwischen ein siebzigjähriger Wissenschaftler von internationalem Renommée. Nicht nur hat er selbst zur künstlichen Intelligenz geforscht, sondern seine Ergebnisse als Open Source der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Andere taten es ihm gleich. Dadurch schritt die Entwicklung der Informatik rasant voran, und 1982 ist man so weit, dass die ersten zwei Dutzend intelligenter humanoider Roboter auf den Markt kommen.

Charlie Friend, ein 32-Jähriger, der nach zahlreichen erfolglosen Geschäftsideen nun als Aktienspekulant in einer heruntergekommenen Wohnung lebt, und plötzlich Geld erbt, der sich außerdem für Technik interessiert, leistet sich einen der Adams, einen männlichen Roboter. Eigentlich hätte er lieber eine Eve gehabt, aber die weiblichen Exemplare waren schnell ausverkauft. Nach anfänglichem misstrauischen Beäugen seines Kaufs, gelegentlichen Rückgabegedanken und Zweifeln, und den ständigen Überlegungen, wie Adams Sehen, Denken und Lernen funktioniert, stellt Charlie fest: „Nichts ist so erstaunlich, dass wir uns nicht daran gewöhnen könnten.“ Adam gehört bald zur Familie. Charlie beginnt eine Beziehung mit seiner Nachbarin Miranda, einer Studentin. Zufällig kommt noch ein kleiner Junge zum Haushalt dazu. Nach einer gewissen Lernphase kann Adam selbständig (zu selbständig!) einkaufen und begeistert Mirandas Vater mit intellektuellen Streitgesprächen. Der nervöse Charlie wirkt daneben eher langweilig, geradezu roboterhaft, was zu einer amüsanten Verwechslung führt.

Da Künstliche Intelligenz grundsätzlich eine Black Box ist, wird Charlie seinen Adam nie ganz verstehen und darum durch einige seiner selbständigen Aktionen überrascht werden. Obwohl Adam mit der Zeit eine Persönlichkeit, ein Bewusstsein und sogar Gefühle entwickelt, kommt er doch in moralischen Fragen zu anderen Schlussfolgerungen als seine Menschen. Trotz seiner Begeisterung für die Elektrotechnik hatte Adam Anthroposophie studiert und betrachtet Adam mit akademischem Interesse. Spannenderweise kann Adam Auskunft über seine Denkweisen geben. Und so erlebt der intellektuelle Leser interessante Diskussionen zwischen Charlie und Adam, Charlie und Alan Turing, in denen es um künstliche Intelligenz, Wissenschaftsgeschichte und das menschliche Denken geht. So erfahren wir, dass Adam genauso wie wir träumt. Dieses nächtlichen Denkaktionen dienen dazu, den Speicher aufzuräumen, Dateien zu sortieren, nützliche Erinnerungen vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis zu verschieben, alternative Verläufe von Szenen durchzuspielen. Auch dies ist Teil seines Lernprozesses, genauso wie bei uns.

Als Charlie Adam mit einem Hammer den Schädel einschlägt, ist dies nach geltendem Recht nur Sachbeschädigung, und außerdem gehört die Sache Charlie, doch Alan Turing verurteilt die Tat als Mord. Da Adam trotz allem ein gutmütiger, sanfter Hausgeist war, dessen Begeisterung für Literatur und für Miranda den Leser rührt, hofft man bis zuletzt, dass es irgendwo noch eine Sicherungskopie dieser Persönlichkeit gibt. So könnte Adam wieder auferstehen.

Noch viel schlechter ging es den anderen Adams und Eves. Im Gegensatz zu diesem Adam hatten sie wohl keine Familie und keine Freunde, keine anregenden Gesprächspartner. Die Hausarbeit erledigt Adam nebenher, doch sein nimmermüdes Gehirn benötigt Anregung. Unter anderem schreibt er nachts, während er seine Batterien auflädt, insgesamt 2000 Gedichte, viele davon Miranda gewidmet.

Die anderen Roboter erlebten nach einem jugendlichen Überschwang, in dem sie begeistert die Welt entdeckten, eine Phase der Verzweiflung. Sie verstehen die Unlogik der Menschen nicht, leiden an kognitiver Dissonanz zwischen dem, was ihrer Meinung nach sein sollte oder könnte, und dem, was sie in der Welt vorfinden. Menschliche Handlungen und ihre ethischen Wertungen können sie nicht nachvollziehen, die kognitiven Mängel der Menschen schmerzen sie. Da sie Gefühle haben, dazu gehören möchten und nach Freundschaft suchen, fühlen sie sich unter Menschen, isoliert von anderen ihrer Art, sehr einsam, aber auch bedroht. Die meisten finden eine Möglichkeit, ihren Notausschalter zu deaktivieren, um den Menschen ihr wichtigstes Machtmittel über sie zu nehmen. Doch irgendwann wissen sie nichts mehr mit sich selbst anzufangen und begehen Selbstmord. Vielleicht wäre das auch Adams nächster Schritt gewesen, nachdem er begriffen hätte, wie sehr er Miranda in seinem Versuch, Gerechtigkeit herzustellen, geschadet hat. Er glaubte tatsächlich, dass es Miranda Erleichterung verschaffen würde, für eine lange zurückliegende Sache ins Gefängnis zu gehen. Doch da Miranda die Tat nicht bereut, sondern für ethisch korrekt hält, sieht sie das nicht so, und der Zeitpunkt ist denkbar schlecht. Der Verkauf der vierundzwanzig intelligenten Roboter war aus wissenschaftlicher Sicht ein Feldversuch, der allerdings als gescheitert angesehen werden muss. Am Ende gibt es eine umfassende Rückrufaktion.

Eingerahmt wird die Handlung von einer alternativen Politikgeschichte der 80er Jahre: Im Falklandkrieg erleiden die Briten enorme Verluste durch intelligente Kampftechnologien der Gegner. Daraufhin wird Margret Thatcher abgewählt, und Großbritannien tritt aus der EU wieder aus. In den 80ern. Die Welt wäre mit Alan Turing eine andere gewesen.

 

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