Die letzten Tage habe ich an der Software Engineering Konferenz teilgenommen und in den Sitzungen den Frauenanteil unter den Teilnehmer/innen gezählt. Ich bin auf 8,1 % gekommen! (In den technischeren Sitzungen war der Frauenanteil gleich noch etwas geringer.) Zum Vergleich die Frauenanteile in den Proceedings:
https://dl.gi.de/bitstream/handle/20.500.12116/37992/se_2022_proceedings.pdf
Bei den Herausgebern der Proceedings beträgt der Frauenanteil ein Drittel, beim Programmkomitee stolze 56%, bei den Autor/innen der akzeptierten Beiträge 12,7%.
Was könnten uns diese Zahlen sagen?
Ein Drittel bei den Herausgebern ist unverdächtig. Das passt zu den Frauenanteilen in der Informatik (=Grundgesamtheit), die ich in früheren Analysen gefunden habe. Zur Teilnahme im Programmkomitee wird man eingeladen. Hier haben die Organisatoren also offensichtlich aktiv etwas für die Frauenförderung getan.
Die 12,5 % Frauenanteil bei den Vortragenden sind bei technischen Themen durchaus normal, passen zu meinen früheren Ergebnissen. Bisher hatte ich keine Statistiken zu Teilnehmerinnenzahlen erhoben. Und bin sehr nachdenklich geworden. Die Teilnahme war kostenlos und die Konferenz fand online statt. Was also könnte die Informatikerinnen von der Teilnahme abgehalten haben? Kosten oder die Hemmung, ihre Familie mehrere Tage am Stück im Stich zu lassen, können es nicht sein. Diese äußeren Faktoren fallen weg. Wo also waren die Frauen, während wir den Vorträgen gelauscht haben? Darüber möchte ich keine Vermutungen anstellen, aber feststellen, dass ständige Fortbildung ganz wichtig ist, gerade in der Informatik. Und wenn die Teilnahme so gering ausfällt, dann steckt da vielleicht derselbe Grund dahinter wie bei der niedrigen Beteiligung bei den Vorträgen. Ich hatte mich ja gefragt, ob die Frauenanteile bei den Vortragenden auf Konferenzen unter einem Drittel liegen, weil zu wenig Frauen einreichen oder weil ihre Einreichungen mit höherer Wahrscheinlichkeit abgelehnt werden. Bremsen sie sich selbst aus oder werden sie ausgebremst? Aber wenn man die niedrige Beteiligung bei den Zuhörenden ansieht, erscheint es schlüssig zu vermuten, dass frau keine Beiträge einreicht bei einer Veranstaltung, wo sie nicht mal als Zuhörerin hingeht. Man muss sich sogar eher fragen, ob die Beitragsautorinnen von ihren Vorgesetzten zur Einreichung gedrängt wurden. Das sind natürlich alles Spekulationen.
Zu meiner bisher noch offenen Forschungsfragen: „Warum wählen Informatikerinnen eher die soften, weniger renommierten Forschungsthemen?“und "Warum tragen Frauen so selten bei Konferenzen vor" kommt nun noch die Frage hinzu: „Warum nehmen Frauen an Konferenzen so wenig als Teilnehmerinnen teil?“
Natürlich hat der oder die Vorgesetzte bei allem etwas mitzureden, aber das erklärt das Ungleichgewicht sicher nicht vollständig. Es gibt noch viel zu tun bis zur Gleichbeteiligung.