Es ist jetzt drei Monate her, seitdem ich das Vollzeitangestelltsein verlassen habe. Zeit für eine Zwischenbilanz. Also, ich arbeite nicht weniger Stunden. Es gibt so viel, was ich gerne machen möchte! Ich habe die 50%-Gastprofessur, meine selbständigen Tätigkeiten, Literaturprojekte, ehrenamtliches Engagement und noch die Gartenarbeit. Aber: Wie ich mir das schon gedacht hatte, war ich nicht von der Anzahl an Arbeitsstunden krank geworden, sondern von der Fremdbestimmtheit. Obwohl ich so viel arbeitete, fand ich nicht genug Zeit für das, was ich eigentlich tun wollte. Es ist ja in Ordnung, dass ich für eine vereinbarte Anzahl von Arbeitsstunden pro Wochen langweilige Routinearbeit leiste. Das ist nunmal das, was am meisten gebraucht wird. Genauso wie mehr Quadratmeter an weiß oder gelb gestrichenen Wänden gebraucht werden als kreativ bekünstlerte Leinwand. Aber mit der Routinearbeit muss irgendwann auch Schluss sein, so dass mir noch Zeit bleibt für kreative Schaffenskraft und Extras, beispielsweise für meine Studierenden ein Filmchen zu drehen wie ich das am Freitag getan habe. Das war nicht lebensnotwendig und wird auch nicht bezahlt, hatten sich die Studierenden aber gewünscht und ist sicher auch hilfreich.
Es ist ja in Mode gekommen, statt von Burnout von Boreout zu sprechen. Aber das passt hier nicht. Das Problem war nicht, dass die Routine mich langweilte. Sondern eher das Stresslevel, das nach meinem eigenen Stresslevel-Modell das sechste und höchste ist: "Ich arbeite Tag und Nacht. Ich arbeite nur noch an dringenden Aufgaben und halte meine Abgabetermine nicht ein." Da ist dann wirklich alles außer Kontrolle. Auf Stresslevel 5 hat man wenigstens noch die Wahl, mit Hilfe von Überstunden die Abgabetermine einzuhalten, oder eben nicht. Bzw.: Je mehr Überstunden ich leiste, umso weniger Abgabetermine verpasse ich.
Anfang Dezember ließ der Stress etwas nach, weil ich zahlreiche Aufgaben abgeben konnte und eine lange Liste unerledigter Aufgaben hinter mir ließ. Vor allem fielen zahlreiche Besprechungen weg. Vorher verlief der typische Arbeitstag so, dass ich den ganzen Tag fast lückenlos telefonierte, dazwischen die Mails beantwortete, abends vielleicht noch einen Kurs und anschließend den Rest der E-Mails. Ergo: nicht Produktives geschafft, trotz 14-Stunden-Tag. Das verbesserte sich im Dezember sofort und ich konnte sogar tagsüber produktiv arbeiten. Allerdings waren auch privat und im Ehrenamt zahlreiche Aufgaben liegen geblieben, die es aufzuarbeiten galt.
Nach drei Monaten hatte ich am Freitag zum ersten Mal das gute Gefühl, mich freigeschwommen zu haben. Ich kann jetzt wieder normal arbeiten, so wie früher. Ich laufe auf Stresslevel 3 "leichte Überlast": "Ich schaffe die dringende Arbeit in 40 Stunden pro Woche, aber die nichtdringenden bleiben liegen oder erledige ich in den Überstunden." Das ist OK. Das fühlt sich für mich nicht stressig an, da ich gut organisiert und hochmotiviert bin. Das Mischungsverhältnis aus Routine und Kreativität stimmt wieder.
Zeitmanagement und Priorisierung sind natürlich immer noch nötig, weil es immer mehr Ideen und Projekte gibt als ich umsetzen könnte. Ich muss mich also gezielt konzentrieren und die begrenzte Zeit gut einteilen.
Es hat sich nun gezeigt, dass Arbeit tatsächlich die richtige Therapie für mich war. Es hätte mir wenig gebracht, wenn ich diese drei Monate tatenlos auf Pilgerfahrt oder in einer Reha verbracht hätte. Die Projekte, an denen ich arbeiten wollte, wären weiterhin liegen geblieben, und meine Enttäuschung darüber hätte man mir noch als psychische Störung ausgelegt. Was ist so krank an Schaffensfreude? Statt an meiner Einstellung zu arbeiten, habe ich an den Fakten gearbeitet. Es wird ja oft die Erwartung geäußert, dass man entspannt und glücklich sein müsse, unabhängig von der Realität. Dieser Anspruch ist unrealistisch und viel zu hoch. Wenn man sich wohl fühlen will, muss man die Fakten ändern. Das ist ja auch viel einfacher!
Inzwischen ist also dieser ewige Druck im Kopf gewichen sowie das Gefühl, kurz vor dem Weltuntergang zu stehen, der unweigerlich über mich hereinbrechen wird, sobald ich einen Tag lang nichts arbeite. Beispielsweise die Liste unkorrigierter Hausarbeiten ist von 24 auf 3 geschrumpft, der Stapel ungelesener Abschlussarbeiten neben meinem Bett von acht auf null. Nachher tippe ich für die letzte das Gutachten ein. Dann darf ruhig die nächste eingereicht werden. :-) Das Hamsterrad dreht sich also nicht mehr schneller als ich laufen kann!
Aber jetzt werde ich erstmal einen Kuchen backen. Anschließend das Gutachten. Danach noch ein wenig Forschung und dann früh ins Bett. Klingt doch nach einem guten Plan, oder?