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Was haben Sie in dieser Vorlesung gelernt?

Gestern stellte ich nach einem Kapitel meiner Vorlesung die Frage "Was haben Sie in diesem Kapitel gelernt?" Seufz! Früher konnte jede/r Studierende sofort eines der Themen der Vorlesung nennen. Ich nutzte dies als hilfreiches Feedback: Welcher Inhalt hatte meine Zuhörer/innen am meisten interessiert oder beeindruckt? Meistens waren es überraschende Tatsachen oder eine meiner Anekdoten. 

Nun lässt die Beteiligung an dieser Frage leider immer mehr nach. Dieses Mal bekam ich nur eine einzige Antwort, nämlich von dem Studenten, der offensichtlich mitgeschrieben hatte. Da wir immer zwei Kapitel im Block durchnehmen, passte ich beim nächsten Kapitel auf, was die Studierenden so machen, während ich vortrage. Bei den Übungen und Diskussionen beteiligen sie sich sehr lobenswert. Einige der Diskussionen sind Brainstormings, bei denen wir z. B. erstmal sammeln, welche Arten von Wissen in Unternehmen vorhanden sind, bevor ich die "Musterlösung" vorstelle. Die Beteiligung ist also auch möglich, ohne sich an den Inhalt vorheriger Folien zu erinnern. Bei Übungen, wo zuvor vorgestellte Methoden angewendet werden sollen, bin ich es gewohnt, die Methode vorher nochmal kurz zu wiederholen, weil ich schon oft von Studierenden hörte: "Wenn ich gewusst hätte, dass ich die Methode gleich anwenden soll, hätte ich besser zugehört." Man kann leider mit offenen Augen nach vorne sehen, ohne mit den Gedanken voll dabei zu sein. Gestern fand ich auffällig, dass selbst aufmerksame Studierende zwischendurch immer wieder aufs Smartphone sehen und auch kurze Nachrichten schreiben. Ja, ich habe schon mitbekommen, dass der soziale Druck enorm hoch ist, Kurznachrichten schnell zu beantworten, weil sonst gleich die Freundschaft oder Beziehung in Frage gestellt wird. "War in der Vorlesung und konnte nicht antworten" wird von Freunden nicht akzeptiert. Bei Studierenden, die die ganze Zeit, während ich rede, an ihrem Laptop arbeiten, bin ich nicht sicher, ob sie wirklich die Vorlesungsfolien mitlesen oder an etwas anderem arbeiten. Gerade Studierende mit Zeitdruck (z. B. weil sie berufstätig sind), gehen in die Vorlesung nur, um zu sehen, ob etwas Besonderes passiert oder gesagt wird. So wie man im Wohnzimmer den Fernseher laufen lässt, um nichts Wichtiges zu verpassen, aber im Wesentlichen seinem eigenen Leben nachgeht. Ich frage mich aber auch, was sich schon unsere Lehrer damals fragten, ob der Medienkonsum nicht doch irgendwelche Veränderungen im Gehirn bewirkt, z. B. kurze Aufmerksamkeitsspanne und weniger tiefe Aufmerksamkeit, weil die Studierenden auch außerhalb der Vorlesung mit enorm viel Input bombardiert werden. Da muss das Gehirn sich ja irgendwie abschotten, weil die Tages-Aufnahmekapazität begrenzt ist. Ich erinnere mich dunkel an Studien, die zeigten: Je höher der Fernsehkonsum von Schülern, umso weniger aufnahmefähig im Unterricht. Bei mir läuft auch grundsätzlich niemals ein Fernseher oder Radio einfach nebenher, außer beim Bügeln oder anderen schlichten Tätigkeiten. Das Hintergrundgedudel überfordert das Gehirn mehr als wir glauben. Vor allem gewöhnt es sich daran, zum Selbstschutz vor zu viel Input, das Blabla auszufiltern. 

Was ganz sicher auch ein wichtiger Faktor ist: Früher war es für mich als Studentin etwas Besonderes, in der Vorlesung einen international bekannten Experten zu sehen und zu hören. Zwischen den Vorlesungen forschte er, hielt Vorträge auf wissenschaftlichen Konferenzen und machte andere wichtige Dinge. Und gelegentlich traf man ihn im Hörsaal, wo er uns die Grundlagen seines Wissens beibrachte. Damit wir in seine Fußstapfen treten können. Superaufregend! Besser als Fernsehen! Heutzutage ist es für die Studierenden natürlich nichts Besonderes mehr. Im Gegenteil. Im Internet können sie sich jederzeit Vorträge anhören von Leuten, die berühmter oder unterhaltsamer sind als ich. Sie vergleichen mich nicht mit ihrer Mathelehrerin in der Schule, sondern mit Harald Lesch und Mai Thi Nguyen-Kim. Das ist hart. Zumal ich ja, um davon leben zu können, sehr viele Kurse halte. Ich habe ausgerechnet, dass ich genauso viele Kurstage habe wie ein Vollzeitprofessor, nur eben gleichmäßig übers Jahr verteilt (nur drei kursfreie Wochen pro Jahr) und inklusive Samstage. In Vorlesungen und Seminare investiere ich die Hälfte meiner Arbeitszeit, also 40 von 80 Stunden pro Woche. Zusätzlich muss ich mich fortbilden, verkaufen, forschen und Erfahrungen sammeln, über die ich in den Kursen berichten kann. Darum habe ich eventuell auch nicht mehr so viel Schwung und kreative Ideen wie damals als Habilitantin, als ich mich auf eine einzige Vorlesung konzentrieren und dort all mein Herzblut reinfließen lassen konnte. Trotz Zeitdruck gebe ich mein Bestes. Bin nur manchmal etwas ratlos, wie ich den Studierenden die hohe Bedeutung des gelehrten Wissens vermitteln kann. Immerhin habe ich dieses Semester einen Hörsaal mit besserer Akustik. Es ist wirklich schwer, die Zuhörer/innen zu erreichen, wenn die Stimme vom Raum einfach verschluckt wird. Da wirkt man automatisch wie eine blasse Figur, die wenig Wichtiges zu sagen hat.

Mir fiel aber noch eine Maßnahme ein: Ich sollte aufhören, mir den Kopf zu zerbrechen, wie ich meine Vorlesung zu einer aufmerksamkeitsfesselnden Varieté-Show mit Tanzeinlagen ausbaue, vielbeschäftigte berufstätige Studierende in die Vorlesung locke oder zwinge, wie ich entdecke, dass Hausaufgaben durch chatGPT gelöst wurden usw., also versuche, meine Studierenden auszutricksen. Schließlich sind sie erwachsen und für ihren Lernerfolg selbst verantwortlich. Darum sollte ich ihnen kurz und klar das Lehrkonzept der Vorlesung zusammenschreiben, um die Rolle von Vorlesung und Hausaufgaben klar zu machen. Grundsätzlich sollten sie das schon wissen, denn es gilt dasselbe für alle Vorlesungen und sogar auch für die Hausaufgaben in der Schule. Aber als Dozentin weiß ich, dass gerade das Selbstverständliche nicht oft genug gesagt werden kann. Selbst Wiederholungen sind nützlich. Wobei ich nicht sicher bin, ob es überhaupt eine Wiederholung gewesen sein wird!

Was ich gar nicht mag sind die Tricks von Kollegen. Beispielsweise kann man Studierende sehr wohl in die freiwillige Vorlesung zwingen, indem man ihnen die Folien nicht ins Moodle hochlädt. Dann müssen sie entweder kommen und mitschreiben, oder sich einen mehr oder weniger vollständigen Mitschrieb besorgen. Oder man gibt mündliche Hinweise zur Prüfung, die nirgends dokumentiert sind. Auch die Musterlösungen der durchgeführten Übungen muss man nicht unbedingt elektronisch bereitstellen. Das mache ich aber nicht so. Die Studierenden bekommen auch bei einer Präsenzveranstaltung alles, was sie für die Vorbereitung der Prüfung benötigen. Weiß ich ja, dass viele nicht freiwillig schwänzen, sondern weil sich Vorlesungszeiten überschneiden, sie arbeiten müssen, krank waren oder sie alleinerziehende Mütter / Väter sind.  Oder sogar mehreres gleichzeitig.

So, und nach der Vorlesung ist vor der Vorlesung. Ich mache mich dann mal an die Vorbereitung der nächsten Lehrveranstaltungen. Leider ist es ja so wie beim Kochen: In die Vorbereitung investiert man viele Gedanken und Zeit, aber aufgegessen ist es dann immer ganz schnell! Als erstes schreibe ich aber mein Lehrkonzept zusammen und teile es mit den Studis.

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