Die letzten Tage habe ich hier im Home Office den Roman "Das Licht der letzten Tage" von Emily St. John Mandel ein zweites Mal gehört. Dieses Mal ist das Szenario einer Pandemie kein rein hypothetisches mehr. Es ist ein sehr gut geschriebenes, poetisches Buch, in dem es nur in der äußeren Handlung um den Zusammenbruch geht. Aber letztlich preist das Buch die Zivilisation und das Leben auf der Erde.
Parallel werden das Leben der Menschen nach dem Ende der Zivilisation beschrieben, wo mittelalterliche Zustände ohne Strom und fließendes Wasser herrschen, und eine Handlung aus einer Science Fiction Graphic Novel, wo der Rest der freien Menschheit auf einer defekten Raumstation in ewigem Dämmerlicht lebt, teilweise unter Wasser.
Sie alle hoffen, dass die alte Welt wiederhergestellt werden kann. "Es geht immer vorbei", sagt jemand mit Rückblick auf die Geschichte der Menschheit. Das tut es natürlich, aber in beiden Geschichten des Romans ist die Rückkehr in die "alte Welt" unmöglich. Diese ist unwiederbringlich untergegangen und zerfallen.
Wie Angela Merkel sagte: "Die Situation ist ernst, und sie ist offen." Das heißt, wir können nicht wissen, ob es sich um eine vorübergehende Krise gehandelt haben wird, in der viele starben, aber die meisten überlebten. Oder ob wie im Roman am Ende fast alle erkranken, außer Flugpassagiere, die an einem entlegenen Flughafen stranden, oder eine Gruppe Manager in einem Outdoor-Retreat.
Der Unterschied zwischen Corona und der "georgischen Grippe" im Roman besteht im Zeitverlauf. Die (erfundene) georgische Grippe hat eine Inkubationszeit von wenigen Stunden, und so gut wie jeder, der mit einem Infizierten Kontakt hatte, ist später auch krank. Die Sterblichkeit der Kranken liegt bei über 99%. Darum hat die Zivilisation keine echte Chance, rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das ist aktuell anders. Erleben wir den Roman im Zeitlupentempo? Oder werden wir diesen unsichtbaren Gegner besiegen?
Und so sitze ich in meinem sonnendurchfluteten Elfenbeinturm, habe gerade die letzte Präsenzklausur fertig korrigiert, von der ich weiß, und frage mich, wie es weitergeht. Wie Frank in dem Roman verschanze ich mich hinter meinen Projekten, stelle z. B. gerade ein Fachbuch fertig. Die Zukunft wird zeigen, ob es noch jemand lesen wird. Hier in meinem Home Office ist noch alles in Ordnung, auch auf der Straße scheint alles normal, abgesehen von der Leere. Die Menschen huschen nicht mehr so verängstigt durch die Gegend, obwohl die Gefahr einer Ansteckung täglich größer wird. Aber das Thema "Risikowahrnehmung" habe ich lange genug erforscht, um mich nicht zu wundern.
Andrea Herrmann