Seit Längerem gibt es mal wieder eine Geschichte über Luisa, unsere Sicherheitsingenieurin auf einem schrottigen Passagier-Raumschiff. Wie meistens telefoniert sie mit ihrem ehemaligen Ausbilder Landwehr beim Militär.
"Diese Idioten treiben mich noch in den Wahnsinn", seufzt Luisa.
"Das ist nichts Neues", kommentiert Landwehr. "Was haben sie denn jetzt wieder angestellt?"
"Ach, das machen sie schon seitdem ich diese Fortbildung angefangen habe. Ich habe es nur jetzt erst erfahren. Was einen selbst betrifft, das hört man ja immer als letzter!"
"Hm."
"Denselben Effekt kennen wir schon aus der Ausbildung."
"Ich höre."
"Wie Sie wissen, bin ich sehr motiviert und bilde mich ständig fort. Ich habe per Fernlehrgang noch ein Zertifikat erworben. Über 200 Stunden habe ich da reingesteckt. Ich weiß das, weil ich ja meine Zeiten aufschreibe. Jetzt bin ich also fertig."
"Gratuliert habe ich Ihnen ja schon vor zwei Wochen."
"Richtig. Ganz im Gegensatz zu meinen Kollegen hier. Diese Idioten, die sich niemals in ihrer Freizeit fortbilden würden, gehen selbstverständlich davon aus, dass ich genauso ticke. Daraus schlossen sie messerscharf, dass ich die Fortbildung während der Arbeitszeit gemacht habe. Gleich mehrere 'Kollegen' sind zum Chef gerannt, wie ich inzwischen von ihm erfahren habe. Die einen wollten auch während der Arbeitszeit eine Fortbildung belegen, was er natürlich bei ihnen genauso ablehnte wie bei mir. Die produktive Arbeit muss gemacht werden und wir können mitten im Weltall auch keine zusätzlichen Leute anheuern. Logisch. Abgesehen von den Kosten. 200 Stunden mal der Stundenlohn, das übertrifft bei weitem die Studiengebühren! Darum waren sie sauer auf meine scheinbare Vorzugsbehandlung. Andere haben mich einfach nur angeschwärzt und ihm mitgeteilt, dass ich meine Arbeit nicht richtig mache, sondern stattdessen während der Arbeitszeit lese. Dabei konnten sie gar keine konkrete Aufgabe nennen, die ich vernachlässigt habe. Der Chef hats trotzdem geglaubt.
Das erklärt nun auch, warum er mir während meiner Fortbildung ständig noch zusätzliche Aufgaben auflud, die eigentlich gar nicht meine sind, mit hahnebüchenen Begründungen. Und mich ständig missbilligend fragte, ob ich diese Fortbildung immer noch mache. Als ich bejahte, bekam ich noch mal eine Aufgabe dazu. Ich verstand gar nicht, warum ihn das so stört, dass ich mich fortbilde. Er selbst hat dieses Zertifikat schon längst, es konnte also nicht daran liegen, dass er fürchtet, ich könne dadurch kompetenter werden als er. Ich habe ihn gefragt, warum ihn meine Fortbildung stört, aber er sagte nur mysteriöse Dinge wie 'Das weißt du doch ganz genau'."
"Ja, davon hattest Du in den letzten Monaten erzählt."
"Eskaliert ist die Situation dann nach meiner Feier. Ich habe ja Kuchen ausgegeben für die Kollegen anlässlich der bestandenen Prüfung. Da fragte mich ein Kollege so hinterhältig, die Fortbildung sei doch sicher sehr aufwändig gewesen. Ich nannte ihm die 212 Stunden und sagte noch dazu, dass ich das so genau weiß, weil ich es aufgeschrieben habe. Das hat er dann wohl so interpretiert, dass ich die Stunden als Arbeitszeit aufgeschrieben habe. Er ist dann nochmal zum Chef und hat sehr nachdrücklich meine Bestrafung gefordert.
Chef mich also herzitiert und mir mitgeteilt, dass mir ein Monatslohn gestrichen wird.
Ich konnte das erst gar nicht ernst nehmen und witzelte: 'Normalerweise wird einem doch der Gehalt erhöht, wenn man sich fortbildet.'
Da brüllte er mich an, was mir einfiele, 212 Arbeitsstunden für die private Fortbildung abzuzweigen. Da wusste ich natürlich gleich, wo er das her hat, denn die genaue Zahl hatte ich nur einem gesagt.
Natürlich fiel es mir schwer zu beweisen, dass ich in meiner Freizeit gelernt hatte und nicht während der Arbeitszeit. Wie will man sowas beweisen? Aber eigentlich müsste er ja mir was nachweisen, meinte ich. Da behauptete er tatsächlich, ich hätte das einem Kollegen doch selbst erzählt. Missverständnis und so, das ließ er nicht gelten. Ich solle das nächste Mal eben geschickter betrügen.
Kurz und gut, wenn wir nicht mitten im Weltall wären, hätte er mich sofort gefeuert. Dafür, dass ich mich fortgebildet habe, das muss man sich mal vorstellen! Degradieren kann er mich zum Glück nicht, weil die faulen Säcke von Ingenieuren hier, die würden sich nie fortbilden, wenn sie's nicht bezahlt kriegen."
"Luisa, Sie sind eben einmalig und unverzichtbar."
"Das ist nicht lustig. Bei anderen gibts Pluspunkte, wenn sie Zertifikate sammeln."
"Ja, bei Männern. Die dürfen das aber in der Arbeitszeit machen. Nur für Mädchen und Nichtsnutze gelten andere Regeln."
"Meinen Sie echt, das hat was mit meinem Geschlecht zu tun? Ich meine, wenn Sie sich in der Freizeit fortbilden..."
"Muss ich nicht. Mein Chef zahlt mir alles. Weil ich halt ein richtiger Mitarbeiter bin, mit dem er bis zur Rente plant. Du, Mädchen, wirst auf der Erde durch einen Mann eingetauscht, der nur halb so kompetent ist wie Du. Sorry, so ist das Leben."
"Und in meinem Arbeitszeugnis steht noch, dass ich mich gegen den Willen des Fortgesetzten in meiner Freizeit fortgebildet habe oder was?"
"Ja, und die anderen Dinge, die man dir alle schon vorgeworfen hat."
"Im Zweifel für den Angeklagten gilt hier wohl nicht?"
"Nee, dafür gibt's Gerichte. Sonst bräuchte man die nicht."
"Sie meinen, ich sollte vors Arbeitsgericht gehen und mir meinen Monatslohn zurück holen?"
"Kannst du denn irgendwas beweisen?"
"Ich hab meine Zeitaufschriebe."
"Könnten gefälscht sein."
"Ich wusste schon, dass die Welt ungerecht ist."
"Nicht unterkriegen lassen. Was ist mit deinem Freund?"
"Muss mal sehen, ob ich noch einen habe. Während der Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen hab ich ihm vielleicht ein paar Mal zu oft einen Korb gegeben."
"Ihr habt noch nicht gefeiert?"
"Während der Kuchenparty hatte er Dienst."
"Ihr müsst feiern."
"Ja, klar."
"Aber merk dir: keinen höheren Dienstgrad anstreben als der Holde."
"Aye, aye, Sir, weiß ich doch! Heißt praktisch, dass er sich mehr um Beförderung bemühen muss, haha."
"Sag's ihm."
"Hab ich schon. Er meinte, nicht jeder könne darauf hoffen, dass durch eine Explosion eine gute Stelle frei wird."
"Vor allem, wenn du für die Sicherheit sorgst."
"Landwehr, haben Sie mir die letzten Monate nicht zugehört? Dieses Schrottschiff knirscht an allen Ecken und Enden. Jede Sekunde könnte es irgendwo knallen."
"Ich hör dir immer zu, Mädchen. Jetzt muss ich aber zum Dienst. Nicht unterkriegen lassen!"