Das Buch "Einen Scheiß muss ich" wollte ich schon seit Jahren lesen, bin aber nicht dazu gekommen. Nun fiel es mir als Hörbuch in die Hände, und ich hatte tagelang etwas zu lachen. Neulich konnte ich den Rat dieses Lebenshilfebuchs bereits beim Bäcker anwenden: Ich bestellte eine Karamell-Creme-Torte mit dem Zusatz "Nein, ich muss nicht abnehmen!" Der schwäbische Volksmund sagt ja schon immer "Man muss gar nix, außer sterben".
Stilistisch stark und schwungvoll erzählt uns hier der fiktive Jean Brummel aus Amerika, selbsternannter Lebenscoach und Bierbrauer, wie er sich aus allen Zwängen befreit hat und wie er ein glücklicher Mann wurde. Dabei folgt der Plot seines Lebens dem klassischen Muster: Er steckte in einem Sumpf aus salzarmer vegetarischer Diät mit seiner Frau Tricia, die ihm nachts die Bettdecke wegzog, und ihn am Wochenende entweder zu Ausflügen oder zum Rasenmähen zwang. Als er betrunken im Gefängnis landet und den Polizisten aus seinem Leben erzählt, beginnen sie vor Mitleid zu weinen. Um seine Kaution zu bezahlen, fehlen ihm 40 Cent, aber seine Frau weigert sich, ihn auszulösen. Er muss in der Zelle bleiben. Er findet: "Ich muss hier heraus."
Und dann folgt die erlösende Erkenntnisszene, als der Polizist ihn aufklärt: "Einen Scheiß musst Du!"
Die Nacht in der Ausnüchterungszelle wird zum Wendepunkt in Jeans Leben. Er ist ein neuer Mensch, als er am nächsten Morgen "von der Freiheit der Zelle in die Erbärmlichkeit seines Lebens trat".
Der Powersatz "Einen Scheiß muss ich!" (kurz: ESMI) wird auch uns befreien von dem Muss-Monster, das sich von unserem schlechten Gewissen ernährt. Jean Brummel sagt all denen den Kampf an, die uns terrorisieren: Gemüse-Predigern, Duschfehler-Auflistern, magersüchtigen Lifestyle-Redakteuren und Keks-und-Kaffee-Postern. Weg mit der zwanghaften Selbstoptimierung!
Sportsucht ist gefährlicher als Alkoholsucht. Diese und ähnliche Thesen belegt Brummel mit echten und erfundenen Statistiken.
Statt irgendwelchen Hypes hinterher zu hecheln, sollten wir der "somatischen Intelligenz des Körpers" vertrauen, der schon weiß, wie viel Essen, Trinken und Bewegung er benötigt. Schön fand ich auch den Tipp gegen Hypochondrie: Wenn ein Flugzeug fliegt, merken wir das daran, dass es knirscht und knackt. Nicht anders ist es mit unserem Körper.
Die Argumentation darf ruhig auch mal unwissenschaftlich werden. So kann man aus der vielzitierten 90jährigen Großmutter, die täglich Rotwein trank und niemals Sport machte, nicht zwangsläufig darauf schließen, dass Alkohol langlebig macht. Auch der Fitness-Influencer, der mit 37 starb, beweist nicht die Tödlichkeit von Sport.
"Ziele sind mutwillige Glücksverschiebung", stimmt durchaus, aber es gibt ja außer Hedonisten auch noch Menschen mit hoher Langfristorientierung, die also Freude empfinden, wenn sie sich langfristig etwas aufbauen.
Was ich auch bestätigen würde: Wenn man vollzeitangestellt ist, dann setzt man seinen Lebensunterhalt auf eine einzige Aktie. Das würde eigentlich kein Spekulant so machen. Jean Brummel tuts nicht mehr, ich auch nicht.
Sehr schön fand ich diesen Witz zum Thema Political Correctness:
"Wie nennt man einen Schwarzen, der ein Linienflugzeug steuert?"
Ich habe mir gerade den Spaß gemacht, chatGPT diese Frage zu stellen. Die Antwort war genau richtig: "Pilot".
Hier die ausführliche Antwort von chatGPT: "Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass die Verwendung von Begriffen, die sich auf die Hautfarbe einer Person beziehen, potenziell beleidigend oder rassistisch sein kann. Wenn Sie sich auf einen Piloten mit dunkler Hautfarbe beziehen, wäre es angemessen, einfach von einem Piloten zu sprechen, unabhängig von seiner ethnischen Zugehörigkeit oder Hautfarbe."
OK, aber ich schweife ab. Zurück zum Thema. Dank Jean Brummel habe ich noch viel mehr Argumente dafür, warum ich fast gar nichts muss. Vor allem muss ich keine Ernährungshypes mitmachen, nicht bei Sonnenschein sofort rausrennen, nicht jedes Wochenende eine instagramm-taugliche Unternehmung planen und auch ansonsten muss ich wenig. Dieser Gedanke ist mir zum Glück nicht neu. Wenn ich etwas wirklich muss, dann üblicherweise darum, weil ich es tun muss, um ein selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Wenn ich z.B. promovieren will, dann muss ich tun, was der Chef sagt, dann muss ich eine Doktorarbeit schreiben, dann muss ich sauber relevante Ergebnisse produzieren und ich muss publizieren. Grundsätzlich kann man aber jederzeit beschließen, dass man nicht mehr promovieren will und dann erübrigt sich auch der Rest.
Zum Glück ist mir das schon lange bewusst. Ich muss nur meine Ziele klar definieren, dann ergibt sich daraus, was ich tun muss und was nicht. Grundsätzlich müsste ich nicht mal Ziele verfolgen, aber ich will ja. :-)
Kurz und gut: Ich empfehle dieses flotte, unterhaltsame Buch weiter, das die Ratgeberliteratur parodiert und doch voller Weisheiten steckt. Have fun!