Die Deutsche Rentenversicherung glaubt nicht an die Selbständigkeit. Hinter jedem Trainervertrag vermutet sie schnell mal Scheinselbständigkeit, beispielsweise weil der Bildungsanbieter den Schulungsraum stellt und dem Trainer Schulungstermine vorschlägt (weil Räume und Stundenpläne aufeinander abgestimmt werden müssen), weil die Fahrtkosten zur Schulung erstattet werden, gemeinsame Besprechungen stattfinden oder dem Trainer für Online-Schulungen ein Headset oder eine Softwarelizenz zur Verfügung gestellt wird. Oder auch wenn die Trainerin zum Unterricht fährt und im Schulungsraum vergeblich auf die Teilnehmer wartet und sie dann ein Kursausfallhonorar erhält, um ihre Fahrtkosten, Fahrtzeit, Warte- und Vorbereitungszeit wenigstens minimal zu vergüten. Dann unterstellt die Deutsche Rentenversicherung Arbeitsbedingungen wie bei einem Angestellten. O-Ton aus meinem Statusfeststellungsverfahren: "Sie kommen ja alle ihre Kursstunden bezahlt. Also tragen Sie kein finanzielles Risiko." Hallo? Das klingt für mich so als dürften meine Kunden nicht mehr alle meine Kursstunden bezahlen. Wenn ich eine Schulung vorbereite oder mir auch nur drei Tage frei halte für eine Schulung und diese wird mangels Anmeldungen abgesagt, bekomme ich kein Geld und habe doch Aufwand gehabt. So kurzfristig kann ich dann auch keine andere Schulung mehr auf diesen Tag legen. Und die 11,70 Euro Kursausfallhonorar, die ich von einem meiner Kunden erhalte, sind nur ein Trostpflästerchen dafür, dass ich mir den Abend oder den Samstag für diesen ausgefallenen Kurs reserviert, alles vorbereitet und dann noch vergeblich gewartet habe. Viel lieber hätte ich den Kurs auch gehalten und dann das volle Honorar erhalten. Das ist sehr wohl ein finanzielles Risiko. Ich erinnere mich an einen besonders fatalen Monat, wo fast alle bezahlten Schulungen ausfielen, nur die kostenlosen Vorträge und anderes Ehrenamt fanden statt, so dass ich trotz über 300 Stunden Arbeit am Ende genau 150 Euro Einkommen hatte. An den Kurstagen arbeite ich dann an meiner Webseite und dergleichen. Das reichte weder für Krankenkasse noch für die Rentenversicherung noch für die Miete und fühlte sich tatsächlich an als lebe ich riskant!
Gerade auch vor dem Hintergrund meiner Burnout-Erfahrung ist es mir unbedingt wichtig, keinen Arbeitgeber mit Weisungsbefugnis zu haben, denn diese Weisungsbefugnis fühlte sich für mich in mehreren Anstellungsverhältnissen wie eine Aufforderung zur Selbstzerstörung an. Bzw. wie die Berechtigung dazu, mich zur Selbstzerstörung aufzufordern, also mehr zu arbeiten als gesund für mich ist (und als mit dem Arbeitsvertrag abgedeckt ist). Ein Statusfeststellungsverfahren, das einer von meinen Kunden zur Klärung durchgeführt hat, ging damals leider schief. Ich war ganz sicher gewesen, dass es anders ausgehen würde, weil ich mehr als ein Dutzend Kunden habe und gerade für diesen Kunden relativ wenig arbeitete. Nur vier Stunden Kurs pro Monat! Trotzdem wurden wir von der Rentenversicherung dazu verdonnert, einen Arbeitsvertrag für einen Minijob abzuschließen. Ansonsten änderte sich nichts. Weiterhin vier Stunden Kurs pro Monat, jede Kursstunde wurde zum bisherigen Honorar bezahlt, die Vorbereitung nicht, ich habe weiterhin im Rahmen des Lehrplans die Kursinhalte ohne Abstimmung selbst gestaltet und so weiter. Und eben am Monatsende eine Excel-Tabelle mit meiner Zeiterfassung eingereicht. Irgendwo im Hintergrund wurden wohl ein paar Euro in meine Rentenversicherung einbezahlt und die Form der Honorarabrechnung änderte sich. Ansonsten blieb alles gleich. Für mich als Freiberuflerin. Die anderen Dozenten, die irgendwo eine Vollzeitanstellung hatten, war es aber nicht so leicht, nebenbei noch einen Vertrag über einen Minijob abzuschließen. Das hat leider diesen Kunden völlig zerstört. Die gibt es nicht mehr! Das kann doch nicht der Sinn des Statusfeststellungsverfahrens sein, dass man wegen den paar Euro, die mein Auftraggeber in die Rentenkasse einbezahlte, das Geschäftsmodell des Bildungsträgers zerstört und damit die ganze Einrichtung! Die meisten Kursanbieter arbeiten hauptsächlich oder sogar ausschließlich mit freiberuflichen Dozenten, weil nämlich hochwertige Schulungen von Experten gehalten werden und nicht von Schauspielern, die Powerpoint-Folien vortragen! Als freiberufliche Dozentin zahle ich doch sowieso schon pflichtversichert in die Rentenversicherung ein! Und die Kollegen, die ihre vier Kursstunden pro Monat neben ihrer Vollzeitanstellung hielten, bezahlten doch sicher auch schon genug ein! Das ist doch absurd! Gerade vor dem Hintergrund, dass Trainer, die mindestens 538 Euro im Monat einnehmen, sowieso pflichtversichert sind, ist diese Strenge völlig sinnlos.
Hintergrund meines Aufkochens alter Geschichten ist, dass es nun zwei Initiativen gibt, die sich gegen diese Absurdität einsetzen:
1.) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Arbeitsgruppen gebildet, die sich um das Thema kümmern sollen. Der VGSD mischt zum Glück auch mit. Hoffentlich können sie die selbständigen Trainer retten.
2.) Es gibt eine Petition mit dem Titel "Rettet die Selbstständigkeit im Yoga, Sport, Fitness, Tanz und Musik!". Zahlreiche Urteile der Rentenversicherung könnten als Grundsatzurteile das Ende einer langen Tradition bedeuten, nämlich dass Menschen freiberuflich ihr Wissen weitergeben. Manche tun das abends noch als Zusatzverdienst oder Ehrenamt (Schulungen werden ja eher nicht so gut bezahlt), manche Vollzeit bei zahlreichen Anbietern (mit einem einzigen Anbieter kann man sich nicht ernähren, weil man als Experte ja nur begrenzt viele Themen lehrt) und manche (Hausfrauen, Rentner, Behinderte oder Privatiers) machen das nur gelegentlich, damit ihr Wissen nicht verloren geht, aber ohne davon zu leben.
Sich als selbständiger Trainer seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist ohnehin schon schwierig genug. Da muss doch die Rentenversicherung nicht noch Chaos anrichten. Ich will doch nicht bei über zehn Kunden jeweils angestellt werden, das ist doch kompliziert! Man sollte lieber mal über eine Art Mindesthonorar für Trainer nachdenken, das würde mehr bringen! Durch meine hohe Qualifikation kann ich ja auch hochwertige Schulungen geben, die mehr als die üblichen 20-35 Euro pro Kursstunde einbringen, aber das gilt ja nicht für jede(n). Das Ulkige ist ja, dass der Regelbeitrag zur Rentenversicherung höher liegt als der Mindestumsatz, der zur Beitragspflicht führt. Das heißt, wenn jemand 540 Euro einnimmt, bezahlt er über 600 Euro in die Rentenkasse ein. Auch absurd!! Wer legt denn diese Werte fest?
Grundsätzlich ist es aber so, dass ich es aufgegeben habe, allein von Schulungen leben zu wollen. Gerade die vielen Kursausfälle machen das nämlich zum Glücksspiel. Die Auslastung schwankt enorm. Im Februar, August und Dezember finden nur wenige Schulungen statt, während März, Juni und Oktober bis November Hektik verursachen und ich Aufträge ablehnen muss. Und wenn dann mal ein Monat so richtig brummt, dann krieche ich hinterher auf dem Zahnfleisch, weil ich als Trainerin meistens früh aufstehen muss (gestern um 4 Uhr) und abends spät heim komme. Die sonstige Arbeit wie Steuererklärungen muss man dann aber trotzdem machen. Darum biete ich inzwischen ein etwas gemächlicheres Portfolio an mit einer Mischung aus Schulungen und Dienstleistungen, die ich an den kursfreien Tagen gewinnbringend zu Hause erledigen kann. Die richtige Mischung macht's. Die Steuerung dieser Mischung und meiner Auslastung sehe ich als ureigene unternehmerische, also freiberufliche Tätigkeit. Das ist Freiheit und Verpflichtung. Die will ich doch nicht zugunsten von 12 Minijobs aufgeben!
Grundsätzlich sehe ich natürlich schon ein, dass wenn eine Musiklehrerin wegen der hohen Fahrtzeiten nur an zwei Musikschulen jeweils 20 Stunden arbeitet statt an 20 Musikschulen jeweils zwei Stunden pro Woche, man Ähnlichkeit zu einer Anstellung sehen kann. Und möglicherweise möchte die Musikerin lieber angestellt und sozialversichert arbeiten, statt von ihrem mageren Honorar ihre Rentenversicherung abzuzweigen. Aber bei der Statusfeststellung sollte man doch auch den Willen der beiden Vertragspartner berücksichtigen. Und das Problem, dass sie sich nicht rentenversichert, liegt dann doch eher an der Honorarhöhe als an der Freiberuflichkeit. Aber vielleicht leidet die Rentenversicherung auch an Kontrollzwang und Überheblichkeit nach dem Motto "Wenn man die Kinderlein nicht zur Rentenversicherung zwingt, dann verprassen sie ihr Taschengeld für Bonbons". :-(
Ich rechne mal: Nehmen wir an, die Musiklehrerin sei wegen Schülermangel und auch weil die meisten Musikschüler nur nachmittags Zeit haben, nicht zu 40 Stunden ausgelastet. Sagen wir, sie gibt insgesamt 20 Stunden pro Woche zu 20 Euro. Mach also 1600 Euro brutto im Monat. 600 Euro Rentenversicherung, 600 Euro Krankenkasse, bleiben noch 400 Euro für Miete, Lebensmittel, Kleidung, Bücher, Fahrtkosten und was man sonst noch braucht. Bei Urlaub, Feiertagen und Krankheit nimmt sie nichts ein. Dann wäre es ihr sicher recht, wenn ihr Arbeitgeber sich mit je 300 Euro pro Monat an der Rentenversicherung und an der Krankenversicherung beteiligt. Allerdings bekommt sie dann als Angestellte vermutlich einen niedrigeren Stundensatz als zuvor. Das wird die Mehrkosten für die Musikschule nicht ganz ausgleichen, so dass sie die Preise erhöhen muss. Die Musikschüler wandern dann teilweise an eine andere Musikschule ab oder nehmen Privatunterricht steuerfrei in bar bezahlt beim Nachbarn oder Mitschüler. Manche Geschäftsmodelle, z. B. auch die der Volkshochschulen, funktionieren ja nur wegen der niedrigen Honorare und Sozialabgaben. Privatkunden fehlt das Budget für doppelt so teure Kurse. Ich sehe ja auch immer zu, dass meine Fortbildungen nicht zu teuer werden. Die Preisspanne geht von kostenlosen Schulungen bis zu astronomisch teuren Angeboten.
Die Situation ist verzwickt, aber man löst das Problem auf keinen Fall durch die Feststellung, dass eine Scheinselbständigkeit vorliegt! Damit zerstört man das ganze System der Low-Budget-Fortbildungen und Peer-to-Peer-Wissensweitergabe. Vollzeit-Freiberufler geben diese schlecht bezahlten Schulungen doch sowieso nur nebenbei bzw. sollten sich zusätzlich noch ordentlich bezahlte Arbeit suchen.