Also, ich frage mich ja schon, was aus jungen Leuten werden soll, die solche Fähigkeiten der Selbstorganisation und Kommunikation haben... :-(
Ein paar Beispiele haben mich in letzter Zeit mal wieder sehr frustriert:
Wir haben eine mündliche Prüfung angesetzt. Die Studentin ist krank und hat am Tag vor der Prüfung noch einen Arzttermin, teilt sie mir mit. Ich dachte, das hieße "Ich kläre dann ab, ob ich prüfungsfähig bin und falls nicht, melde ich mich sofort." Es kam dann aber keine Nachricht. Für mich erschwerend kam hier hinzu, dass wir auf ihren ausdrücklichen Wunsch die mündliche Prüfung in Heidelberg in Präsenz geplant hatten. Virtuell wäre ja auch gegangen. Da die Zugverbindungen fast niemals funktionieren, hätte ich recht früh los müssen, um sicher pünktlich zu kommen. Ich hatte sie darum gebeten, mir bitte vor 7 Uhr morgens Bescheid zu geben, also bevor ich los fahre. Das ist nämlich schon oft genug passiert, dass die Absage des Studenten so spät kam, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon im Zug saß oder sogar schon in Heidelberg angekommen war. Ein Mal hatte ich sogar den Prüfungsraum durchdesinfiziert für diese schriftliche Ein-Personen-Prüfung, und dann kam keiner! Gut, aber um 18 Uhr fragte ich mich, ob es nicht möglich sein könnte, dass ich schon eine Information bekomme, bevor ich meinen Wecker stelle! Um 18 Uhr hakte ich dann nach. Es kam sogar schnell eine Antwort: Nein, sie sei nicht prüfungsfähig. Sie habe nicht früher Bescheid geben können, weil der Arzttermin erst am Abend stattfand. Ich hakte nach wegen ärztlichem Attest. Natürlich keines. Es ist inzwischen quasi die Regel, dass die Studierenden sich bei Prüfungen ohne ärztliches Attest krank melden. Sehr lustig fand ich auch mal die Behauptung man habe kein Attest, weil der Student per Video-Call einen indischen Arzt um Rat gefragt habe. Ja, aber auch ein indischer Arzt müsste doch die Möglichkeit haben, ein digitales Attest in englischer Sprache zu erstellen?
Bei schriftlichen Prüfungen weiß ich inzwischen grundsätzlich nicht, wie viele Studierenden sich einfinden werden. Es gibt zwar klare Regeln für die An- und Abmeldung, aber wen interessiert das schon? Bei meinen Prüfungen darf man sich üblicherweise bis zu 48 Stunden vorher an- und abmelden, was ich recht kulant finde. Trotzdem bekomme ich wirklich jedes Mal noch kurzfristigere Abmeldungen, natürlich ohne Attest. Manche Prüflinge erscheinen auch gar nicht und wenn ich sie dann anmaile, ob sie ein Attest haben, erfinden sie irgendwelche Begründungen. Von selbst melden sie sich nicht mal, wenn sie eine Prüfung verpasst haben. Ich warte da nämlich immer erstmal eine Woche ab, ob sich was regt. Natürlich habe ich auch regelmäßig Prüfungsteilnehmer, die sich nicht angemeldet hatten. Wozu auch? Ich drucke ja sowieso immer ein paar Exemplare mehr. :-(
Gestern war dann noch Prüfungseinsicht. Und wie das immer so ist: Die Studierenden, für die man eine Ausnahme macht, die bereiten den meisten Ärger. Prüfungseinsicht war von 17:30 bis 18:00 Uhr. Aber das konnte nicht jeder einrichten. Zwei Studierende hatten zu der Zeit wohl Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht, wo sie unabkömmlich waren. Also hatte ich mit ihnen vereinbart, dass ich bis 18:10 Uhr auf sie warte. Ich wartete bis 18:25 Uhr, aber keiner von den beiden kam. Die eine Studentin schreibt mir heute Morgen eine E-Mail, die beginnt mit "Liebe Andrea" (Ich wusste nicht, dass wir per Du sind) und schreibt mir, dass sie kurzfristig habe arbeiten müssen. (Und das war so kurzfristig, dass man nicht absagen konnte? Sie wusste doch, dass ich extra wegen ihr länger bleibe!) Jetzt will sie gerne diese Woche noch einen neuen Termin mit mir, aber nicht am Donnerstag. In Heidelberg. Ich musste mir hier erstmal meinen Frust von der Seele schreiben, damit ich ihr nicht eine geharnischte wütende E-Mail schreibe. Die Studierenden zeigen keinerlei Respekt vor meiner Zeit und Zeitplanung. Ich bin anscheinend ein beliebig verfügbarer Dienstleister, der "eh da" ist. Aber nach Heidelberg habe ich vier Stunden Fahrtzeit mit den Öffis und muss für jeden Präsenztermin extra anreisen. Das war gestern für zwei Stunden schriftliche Prüfung und Prüfungseinsicht ein kompletter Tagesausflug. Das mag ihnen nicht immer so präsent zu sein, egal wie oft ich das betone, weil es ihnen nämlich egal ist.
Ganz sicher gab es zu meiner Zeit, als ich studierte, auch schon Chaoten, und die haben dann einfach nicht fertig studiert, z. B. eben weil sie Fristen verpassten. Das fanden sie ungerecht, weil das ja nichts über ihre Kompetenz aussagt. Ich behaupte gerne, das Einhalten von Fristen gehöre zu den Kompetenzen eines Akademikers dazu, genauso auch das Einhalten von anderen Regeln wie Seitenbeschränkungen bei Texten oder dass man in Prüfung das schreibt, was der Prüfer lesen will, und nicht Romane über irgendein anderes Thema, das einen selbst mehr interessiert. Insbesondere muss man nicht Leute verärgern, von denen man noch eine Note erhalten möchte. Das ist im Berufsleben auch so.
Was für mich jetzt auch offen, aber egal ist: In meiner Vorlesung waren rund 100 Studierende eingeschrieben. 88 haben sogar die Hausaufgaben eingereicht. Nicht alle pünktlich. Manche erledigen das alles gesammelt am Semesterende. Ich überlege ernsthaft, das nicht mehr zuzulassen. Es bereitet mir Extraaufwand und macht didaktisch keinen Sinn. Ich werde bei Gelegenheit mal prüfen, welche Noten diese Späteinreicher überhaupt noch erzielt haben. Jedenfalls sind nun 10 Studierende übrig, die immer noch nicht die Prüfung abgelegt oder bestanden haben. Keine Ahnung, wie deren Pläne aussehen. Ich habe dieses Wintersemester aufgrund zahlreicher Faktoren und weil ich viel zu nett bin, vier Prüfungen angeboten. Und manche konnten es immer noch nicht einrichten! Früher genügte es, dass ich zwei Prüfungen anbiete. Wer bei der ersten fehlte oder durchfiel, schaffte es dann bei der zweiten. Verkompliziert wird die Situation inzwischen nicht nur durch die Unzuverlässigkeit der Studierenden, sondern auch dass die ausländischen Studierenden gewisse Randbedingungen haben wie "Ich brauche die Note vor dem 28. Februar" oder "Ich bin den ganzen März in Indien bei meiner Familie". Aber die Verpeiltheit ist doch ein wichtiger Faktor, sonst hätten doch die Prüfungen im Februar und März ausgereicht, um alle durchzuschleusen.
Ich sehe aber doch eine massive Verschlechterung. Vor zwanzig Jahren genügte es, wenn ich am Anfang des Semesters die Termine für Prüfung, An- und Abmeldung mitzuteilen und dann funktionierte das. Zumal ich diese Regeln entweder auf den Folien oder in Moodle oder sogar in beiden Medien schriftlich festhalte, so dass man sie jederzeit nachschlagen kann! Heutzutage muss ich vor jeder Frist eine Erinnerungsmail verschicken, aber die fruchtet ja wie oben gesehen auch wenig. Besonders ulkig finde ich, wenn Studierende mir Vorwürfe machen, sie hätten die Frist verpasst, weil ich die Erinnerungsmail zu früh oder zu spät geschickt habe. Das ist bitteschön ein freundlicher zusätzlicher Service von mir!
Klar, die Studierenden denken vermutlich, dass ich für die Vorlesung ganz astronomische hohe Honorare bekomme und für das viele Geld ruhig mal ein wenig was arbeiten könne. Dabei kriegen die für ihre Studentenjobs mehr als ich für die Vorlesung. Jede Extraleistung wie noch ne Prüfung erbringe ich kostenlos und die Fahrt- und Reisenebenkosten für die Vorlesung in Heidelberg bezahle ich aus eigener Tasche. Umso mehr ärgert mich das alles. Ich denke, nächstes Semester ziehe ich andere Saiten auf. Vor zwanzig Jahren waren die Studierenden noch dankbar dafür, wenn ich kulant war oder für sie etwas extra gemacht habe, aber das gibt´s nur noch selten.
Das passt jetzt alles sehr gut zu den Grundschulkindern, die für Gummibärchen nicht "danke" sagen. Wenn es nur um die Gummibärchen ginge, wäre das ja noch eine Kleinigkeit, aber dahinter steckt eine gewisse Grundeinstellung, die sich später im Leben auch nicht ändert.
OK, und zum Schluss noch: Ich werde dieser Studentin eine wütende E-Mail schreiben...