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Diskriminierung oder nicht? Nutzen der Nichtwahrnehmung oder Wahrnehmung

Wenn wir für unsere Arbeit kritisiert werden, kann das zwei Gründe haben: Die Arbeit war wirklich schlecht und wir sollten uns verbessern. Oder die Arbeit war OK, aber man wurde diskriminiert. Gleichzeitig hat man auch die Wahl, die Kritik als sachliche Kritik oder als Diskriminierung wahrzunehmen. Dabei kann es natürlich false positives und false negatives geben. Wir können, zumindest als Anfänger, die Qualität unserer Taten und Werke oft nicht selbst objektiv einschätzen und vor allem können wir nicht in den Kopf des Gegenübers hineinsehen. Zumal ich vermute, dass Menschen, die diskriminierend jemanden extrahart aburteilen, sich dessen selbst nicht bewusst sind, sondern spontan von der Person des Gegenübers genervt sind und dann krampfhaft objektiv klingende Gründe für ihre eigene politisch inkorrekte und unbegründete Aggression suchen. Die wenigsten Leute wollen sich selbst als ungerechten Menschen sehen.

Bei meinen Recherchen bin ich gerade über einen Artikel gestolpert, der zwar nicht die Frage beantwortet, die ich gerade untersuche, aber trotzdem interessant ist: 

Wenn man die Kritik als Diskriminierung interpretiert, rettet man damit den Glauben an die eigene gute Arbeit und den hohen Wert als Person oder Mitarbeiter/in. (Ich habe beobachtet, dass das keine gute Strategie ist, weil die Leute, die jede sachliche Kritik als Diskriminierung abtun, sich fachlich nicht weiterentwickeln, bewegungsunfähig und passiv-aggressiv in ihrer Opferrolle feststecken und außerdem ihre Vorgesetzten vor den Kopf stoßen.) 

Wenn man stattdessen die Kritik als sachliche Kritik interpretiert, sogar dann, wenn es sich um Diskriminierung handelt, dann rettet man damit seinen Glauben daran, dass man sein Schicksal selbst bestimmen kann und in dieser Gesellschaft noch etwas werden kann.

Interessanter Gedanke. Aber auch traurig irgendwie, weil man sich im letzteren Fall weiterbildet und noch härter arbeitet und dabei ganz übersieht, dass man mit egal wie viel Leistung die Diskriminierung nicht überwinden kann. Der soziale Status bleibt ein Minderheitenstatus. Auf diese Weise lernt man jegliche Regel exzellenten Arbeitens kennen und einzuhalten, während gleichzeitig andere Leute mit schlampiger Arbeit schon zwei Karrierestufen weiter sind. Man wird ja zum Glück nicht immer und überall so massiv diskriminiert, dass selbst die beste Leistung einen nicht voran bringt und Jammern bringt ja auch nichts, aber irgendwie muss man aus diesen Überlegungen schlussfolgern, dass die diskriminierte Minderheit nur die Wahl zwischen Hölle und Fegefeuer hat. 

 

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23.04.2024: mein Vortrag "Ethische Automatisierung und Entscheidungsunterstützung durch Künstliche Intelligenz" auf der SQD-Konferenz

Am 23.04.2024 halte ich auf der SQD-Konferenz einen Vortrag zum Thema "Ethische Automatisierung und Entscheidungsunterstützung durch Künstliche Intelligenz". Bei diesem Vortrag analysiere ich Ethik als eine Qualitätsanforderung an eine KI-Software mit Mitteln des Requirements Engineerings. Daraus lassen sich - ähnlich wie bei Sicherheitsanforderungen - systematisch funktionale Anforderungen, Anforderungen an die Daten sowie Anforderungen an den Entwicklungsprozess herleiten. Dieses Mal reise ich dafür nicht nach Wien, sondern der Dienstag ist der Online-Tag. Das heißt, die Zuhörer/innen müssen auch nicht nach Wien reisen. :-)

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Handgeschriebene Praktikumsprotokolle

Gerade hatte ich einen kurzen Erinnerungsblitz. Der technische Fortschritt bereitet der Lehre eigentlich immer Schmerzen. Ich erinnere mich, dass ich während meines Studiums eine der ersten war, die ihre Praktikumsprotokolle gedruckt abgegeben haben bzw. abgeben wollten. Handgeschrieben war noch Standard. Die Mitarbeiter der Uni waren über diese Innovation nicht glücklich. Mein Verkaufsargument "besser lesbar" zog leider nicht. Sie verlangten händisch geschriebene Protokolle, um sicher zu sein, dass sie auch tatsächlich von mir stammen. Das Protokoll hätte sonst ja auch jemand anderer für mich getippt haben können. Ich behielt es für mich, dass andere Studierende einfach ihre Protokolle von Kommilitonen aus dem Vorjahr abschrieben, fand es aber doch ungerecht, dass meine selbstgetippten Protokolle weniger wert sein sollten als die von Hand abgeschriebenen. Zur Sicherheit gab es damals zusätzlich mündliche Kurzprüfungen, um sicherzustellen, dass die Studierenden ihre handgeschriebenen Protokolle auch gelesen und verstanden hatten. Wer keine Fragen dazu beantworten konnte, flog durch. Dabei wäre ich ja aufgeflogen, wenn ich das Protokoll von meinem Vater hätte tippen lassen. Trotzdem: Handschrift musste sein.

Naja, dasselbe Problem haben wir nun erst recht, weil man nicht mal mehr jemanden benötigt, der das Protokoll für den Studierenden tippt. ChatGPT genügt. Aber den Aufwand mit der mündlichen Prüfung für jeden Studierenden jede Woche, den kann man nicht in jedem Kurs betreiben. Hm, sollte ich wieder auf handgeschriebene Hausaufgaben zurückgehen, um sicherzustellen, dass die Studierenden immerhin die Antwort von chatGPT ein Mal gelesen haben? Durch Abschreiben geht Wissen auch ins Gehirn...

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Science Fiction zur Technikfolgenabschätzung?

Gerade habe ich einen interessanten Artikel gelesen über Technikfolgenabschätzung. Hier geht es speziell um Genetik und Biowissenschaften, aber diese Gedanken passen auch für technische Themen. Den Nutzen von Science-Fiction-Romanen für die Diskussion möglicher Folgen neuer Technologien vor deren Einführung und sogar vor deren Erfindung betone ich auch gerne in meinen Kursen. Nicht nur, weil es hier, wie Greely schreibt, um "predictions of the future" und "indicators of the likely social consequences of [...] technologies" geht. Die Detailliertheit der Überlegungen und der Schwerpunkt auf ELSI (ethical, legal, and social issues) bei einem Roman geht über eine abstrakte Kosten-Nutzen-Rechnung und Risikoliste einer Technikfolgenabschätzung hinaus. Greely weist aber zu Recht auf drei Probleme hin:

1.) Science Fiction als Unterhaltungsliteratur schafft spannende Handlungen durch "drama through conflict". Die Folge davon ist ein "fiction-induced bias", der dazu führt, dass neue Technologien viel öfter als gefährlich dargestellt werden als dass ihre Vorteile aufgezeigt werden. Ein Heile-Welt-Utopia gilt als zu langweilig.

2) Im echten Leben gibt es sowieso selten ein glänzendes Utopia, sondern eher ein Durchwurschteln. Lachen musste ich bei Greelys Formulierung: "Muddling through lacks drama. It is not exciting." Umgekehrt bedeutet das, dass utopische Romane nicht realistisch wären.

3.) Ein typischer Konflikt in der Moralliteratur ist seit Adam und Eva sowie den antiken Göttergeschichten der archetypische Plot, dass Wissensdurst und Fortschritt eine Auflehnung gegen den göttlichen Willen bedeuten, was unweigerlich bestraft werden muss. So als gäbe es dominante Götter, die es am liebsten hätten, wir Menschen seien dumm und unmündig. Hier werden die Strategien menschlicher Tyrannen auf die Götter projeziert. Leider hat das Tradition. 

Henry T. Greely: Science fiction and ELSI: three thoughts. Frontiers in Genetics. 14. 10.3389 (2023)

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Artikel zu meiner Gastprofessur an der FernUni Hagen

Heute erschien auf der Webseite der FernUni Hagen ein Artikel über meine Gastprofessur, über Frauen auf Informatik-Konferenzen und die Kombination von Gender-Forschung und Data Science. 

Auf der Webseite des Lehrstuhls Data Science stehe ich nun auch mit einer eigenen Seite.

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Zeitwende

Eine Freundin hat mir das Buch "Hör auf das Echo des Schweigens" geschenkt und dieses Gedicht von Anna Bessi für mich markiert:

 

Zeitwende

 

Das Jahr hat eine komplette Wendung
vollführt,
das Gestern gibt es nicht mehr.
Das gegenwärtige Jahr
ist sehr viel anders
als das alte.

 

Leuchtender erblicke ich die Farben
der Blumen,
die Düfte meines Gartens
vermehrten sich,
die Sterne senden mir Signale
von Bedeutung,
und ich schaue den Mond,
der mir zunickt.
Ich spüre die Natur,
wie eine liebevolle Umarmung
und an Vögel und Sonne
richte ich mein Wort.

 

Meine Gedanken
sind verschieden von denen
des vorigen Jahres.
Sie schritten, meine ich,
viel weiter voran...

 

Ja! Wie immer, ist wieder
ein neues Jahr gekommen,
jedoch, andersartig als das vorige.
Es kam,
mit meinem neuen Selbst
einherzugehen.

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Was ist Gender-Forschung?

Für ein halbes Jahr mache ich gerade mal wieder Gender-Forschung, dieses Mal in Kombination mit Data Science. Das ist für viele Menschen befremdlich: "Was kann man denn zum Gender-Sternchen so viel forschen?" Seufz!

In meiner Forschung geht es nicht ums Gender-Sternchen. Das ist ein Thema für Linguistinnen und Psychologinnen. Wie müssen wir schreiben, damit Männer und Frauen mit demselben Satz mitgemeint sind und sich mitgemeint fühlen? Keine Ahnung. Ich persönlich hatte nie ein Problem damit, mich beim Begriff "Projektleiter" o.ä. mitgemeint zu fühlen. Bei meinem eigenen Schreiben merke ich immer wieder, dass das Gendern fast ausschließlich bei Rollen und Berufsbezeichnungen nötig ist. Warum soll eine Frau kein Ingenieur sein? Bedenklich ist vor allem, dass eine männliche Berufsbezeichnung eine Frau aufwertet, während eine weibliche Berufsbezeichnung einen Mann abwertet. Welcher Mann mag schon als Hausfrau, Kindergärtnerin oder Krankenschwester bezeichnet werden? Das Weibliche wird immer noch als minderwertig angesehen.

Gender-Forschung ist weitreichender, es geht um den Unterschied zwischen Männlein, Weiblein und Diversen im Allgemeinen. Mich beschäftigen beispielsweise diese Teilthemen:

- Sind 30% eine psychologische Obergrenze für Frauenanteile?

- Frauenanteile auf Informatik-Konferenzen: Wie verteilen sich die Frauen auf die verschiedenen Rollen und Themen auf Informatik-Konferenzen?

- Learning Analytics: Studieren Frauen anders?

- Gender Data Gap: Gibt es mehr Daten über Frauen als über Männer? Warum, welcher Schaden entsteht dadurch und was kann man dagegen tun?

- Mysogenie in Daten: Wie werden Frauen durch Daten diskriminiert? Wie kann man das feststellen?

- automatische Klassifikation von Menschen nach Geschlechtern basierend auf ihrem Namen oder ihrer Stimme

Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein!

 

 

 

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Die Absage

Mal wieder eine Absage. Die Universitäts-Professur ging an einen jungen Mann, der 2015 promoviert hat. Seine Publikationsliste sieht für mich recht spärlich aus. Null bis vier Veröffentlichungen pro Jahr. Über Lehrerfahrung finde ich gar nichts.

Was hat der, was ich nicht habe? Warum hat er das Rennen gemacht, während ich nicht mal zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde? Geht's um die Eier? Oder den Dreitagebart? Oder Beziehungen? Ging das wirklich nach Komptenz? Sehr frustrierend.

Manchmal erkläre ich mir das damit, dass ich als Freiberuflerin und auch jetzt als (Lehr-)Professorin relativ wenig publiziert habe, im Vergleich zu meiner superproduktiven Zeit als Postdoc. Aber andere publizieren hauptberuflich weniger als ich nebenbei und kriegen dann doch eine Universitäts-Professur. Die eine oder andere Berufungskommission ist vor zehn Jahren darauf herum geritten, dass ich bisher keine Programmierkurse gegeben hatte. OK, habe ich nachgeholt. Aber dann wars leider angeblich die falsche Sprache. Einem Mann trauen sie jederzeit zu, dass er jede Programmiersprache lehrt, einer Frau trauen sie das nicht mal zu, wenn sie es schon gemacht hat. Könnte ja sein, dass ihr Kurs schlecht war. Oder sogar dass sie lügt. (Unverschämtheit! Von meinen ganzen Leistungen verschweige ich ja oft die Hälfte, weil ich weiß, dass so viel Leistung für normale Faulpelze unrealistisch klingt.)

Wenn ich gerade praktisch arbeite, wird mir meine niedrige Publikationsleistung vorgeworfen, arbeite ich gerade in Lehre und Forschung, wirft man mir vor, meine Praxiserfahrung sei schon zu lang her. Pendle ich zwischen Praxis und Forschung, um meinen angeblichen Mangel zu beheben,
wirft man mir auch das vor.

So eine Hochschule kann keine Bessere bekommen als mich. Ich qualifiziere mich seit fast 30 Jahren ständig weiter für meinen Traumjob. Kann doch gar nicht sein, dass es immer noch zu wenig ist, während ständig am Ende eines angeblich objektiven, kompetitiven Bewerbungsprozesses ein junger Mann mit wenig Erfahrung eingestellt wird. Ja, OK, acht Jahre seit Promotion ist schon was. Aber was er in acht Jahren geleistet hat, schaffe ich in vier. :-(

Aber vielleicht geht es bei Professorenstellen genauso wie bei Managerpositionen in der Industrie darum, junge, formbare Leute einzustellen und selbst zu schleifen, statt Persönlichkeiten, die womöglich Staub aufwirbeln, hohe Maßstäbe ansetzen und irgendetwas zu verbessern versuchen. Verbesserung bedeutet Kritik am Alten.

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Rosalind Franklin: ein Wissenschaftskrimi

Rosalind Franklin hat zur Struktur des Genoms geforscht und dabei die entscheidenden Experimente durchgeführt. Ihre Ergebnisse wurden dann von ihrem Kollegen der Konkurrenz zugespielt. Alle drei Männer erhielten gemeinsam den Nobel-Preis dafür, Frau Franklin ging leer aus. Selbst als dies in einer Autobiographie offen zugegeben wurde, galt das nur als eine nette Anekdote über den Wissenschaftsbetrieb. Wenn Männer eine Kollegin bestehlen, ist das anscheinend ein Kavaliersdelikt? Dazu passt das Buch "Frau Einstein", das ich neulich gelesen habe und die Vermutung wiederholt, dass die Relativitätstheorie ganz maßgeblich von Einsteins Frau Mileva stammte. Bekannt ist dieses Phänomen als "Matilda Effekt": Die wissenschaftlichen Ergebnisse von Frauen werden häufig Männern zugeschrieben. Auch Lise Meitner erhielt nicht den Nobel-Preis für ihre Arbeit, sondern Ott Hahn allein. Was aber nicht seine Schuld war, sondern eine Fehlwahrnehmung des Nobelpreis-Komitees, das selbstverständlich und falsch davon ausging, die Frau müsse die Assistentin des Mannes gewesen sein. Bei den anderen beiden Fällen haben die Männer geistiges Eigentum bewusst gestohlen. Mit Billigung der Gesellschaft, leider.

Den Krimi um Rosalind Franklin kann man bei zeit.de nachhören, wo ein Journalist durch Interviews mit Zeitzeugen den Fall rekonstruierte.

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Hausaufgaben kommen aus der Mode

Mir reicht´s. Das ist eine vollständig sinnlose Sache. Die Studenten generieren ihre Hausaufgaben und ich sitze dran und sehe mir an, ob chatGPT dieses Mal einen Fehler gemacht hat. Ganz egal, ob ich einen finde oder nicht, der Lerneffekt für die Studierenden ist null.

Nächstes Jahr werden die Hausaufgaben freiwillig sein, nämlich für diejenigen, die gerne üben möchten und durch Feedback lernen. Und dass jemand am Ende vom Semester alle Hausaufgaben auf ein Mal einreicht, das gibt es dann auch nicht mehr. Die Geschichten vom kranken Hund können sie ihrer Großmutter erzählen...

Bisher galten die Hausaufgaben als Zulassungsvoraussetzung für die Prüfung. Dafür denke ich mir etwas Neues aus. Wir könnten die Projektabschlussvorträge wieder einführen. Die gab es früher mal! Oder ich denke mir irgendetwas anderes Gemeines aus.

Ich werde aber definitiv keine Lebenszeit mehr damit verschwenden, sinnlos generierte Texte durchzulesen! Davon hat keiner was!

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