Erst neulich hatten wir einen "Frauenabend". Ich konnte es nicht mit anhören. Das ewige Gejammer darüber, dass es so wenige Frauen in der Informatik gibt oder als Sprecherinnen auf Konferenzen. Ich finde das auch bejammernswert, aber kein einziges Mal wurde wirklich angeprangert, dass wir täglich diskriminiert und entmutigt werden. Nein, die Männer machen niemals etwas falsch. Wir Frauen sind diejenigen, die es vermasseln. Die Mädchen trauen sich vollständig grundlos nicht zu, Informatik zu studieren. Frauen bilden sich nicht genügend fort und wagen sich darum zu Recht auf keine Konferenzbühne. Blabla. Warum wälzen wir Frauen uns sogar dann in solchem Schmutz, wenn wir unter uns sind?
Weil auch die Frauen so dermaßen Teil der Machogesellschaft sind, dass sie ohne nachzudenken die Spiele mitspielen, die den Machterhalt der Männer sichern. Männer machen nie etwas falsch? Wir Frauen sind diejenigen, die eben nicht gut genug sind? Bei nächstbester Gelegenheit betrachten wir also den Vortrag einer Kollegin noch kritischer als den eines Mannes, um uns in unserer Überzeugung zu stärken? Wir brauchen gar keine Männer, um uns klein zu halten, das schaffen wir ganz alleine.
Ich denke, jedes Mädchen, das sich gegen die Informatik entscheidet, hat instinktiv richtig gefühlt, dass sein Leben dann ein täglicher Kampf wäre. Auch ich war mir bewusst, worauf ich mich einlasse, hat mich doch mein Umfeld schon von Anfang mit Bedenken und Hohn überschüttet, weil ich es wagte, etwas Technisches zu studieren. Ich habe mir zugetraut, so gut wie die Männer zu sein und die täglichen Anfeindungen wegzustecken.
Inzwischen habe ich erkannt, dass ich niemals ein echter, erwachsener Profi sein werde. Ich kann mich fortbilden so viel ich will, unendlich viel Berufserfahrung sammeln, es wird nie ausreichen. Es gibt da ein paar ungeschriebene Gesetze wie diese:
1.) Bei Männern zählt die gesamte Berufserfahrung, von Anfang bis Ende. - Bei Frauen zählt nur die aktuelle Tätigkeit. Sobald ich den Job wechsle, beginnt der Zähler für die Jahre an Berufsfahrung wieder neu bei null. Aktuell habe ich nach meiner Zählung 26 Jahre Berufserfahrung, aber nach Machozählweise nur anderthalb.
2.) Männer machen richtige Arbeit, die richtig zählt. - Frauen gibt man lieber keine wichtigen Aufgaben, denn sie könnten ja einen Fehler machen. Was auch immer eine Frau tut, ist per Definition keine richtige Arbeit. Ich habe es schon mehrfach erlebt, dass eine Position oder Aufgabe dadurch abgewertet wurde, dass eine Frau sie übernommen hat. Danach wollte kein Mann diese Frauenaufgabe mehr haben. Sogar eine Frau kann das? Dann lässt sich damit kein Blumentopf mehr gewinnen. (Ich lasse mich überraschen, ob dieser Effekt auch auftritt, wenn die Gesellschaft für Informatik ihre nächste Präsidentin wählt.)
3.) Was Männer arbeiten, das haben sie vollständig verstanden, können dies selbständig ausführen und sind Experten. Sie werden also durch ihre ganz normale alltägliche Arbeit kompetente Spezialisten. - Frauen brauchen ständige Anleitung, weil sie gar nicht begreifen, was sie da tun. Dadurch bauen wir bei der täglichen Arbeit kein echtes Wissen auf. Wir ahmen die Experten nur nach, sind aber selbst keine. Darum müssten wir, um unsere Kompetenz zu beweisen oder aufzubauen, zusätzliche Qualifikationen erwerben. Die dann allerdings auch nicht zählen, weil sie per Definition nichts Richtiges sind.
Schade, dass sogar Frauen so denken - zumindest über andere Frauen.
Trotzdem sollten wir Frauen unseren Weg gehen, unserer Begabung und Leidenschaft für die Naturwissenschaften und die Technik folgen. Wir müssen härter arbeiten, um weniger zu erreichen als ein Mann. Wir dürfen keine echte Anerkennung erwarten, sondern müssen Freude an dem finden, was wir heute tun. Das verlangt viel Kraft. Ich verstehe all diejenigen, die diese Kraft nicht aufbringen wollen oder können.
Wir befinden uns immer noch in der Phase, wo wir zu wenige sind. Sobald wir die kritische Grenze von 30% Frauenanteil überschreiten, dann werden wir keine Minderheit mehr sein. Bisher gelingt dies nur in ganz kleinen Bereichen, z. B. an einer einzelnen Hochschul-Fakultät oder in einem Startup.
Die 30% werden wir aber nicht erreichen, solange wir nach den Regeln der Männer handeln. Das Machosystem funktioniert so gut, dass sogar viele Frauen ein Interesse daran haben, dass es erhalten bleibt. Vielleicht macht es manchen Freude, eine Exotin zu sein, besser als die bemitleidenswerten Geschlechtsgenossinnen? Versuchen sie, sich bei den Männern einzuschleimen, indem sie schlecht über die Frauen im Allgemeinen reden?
Wenn ich beispielsweise eine Studentin habe, die einen Misserfolg erlebt hat, dann nimmt sie die volle Verantwortung dafür auf sich und martert sich mit Selbstvorwürfen, wie sich das für eine gute Frau gehört. Die meisten sind überrascht von der alternativen Lesart, dass vielleicht jemand anderer auch einen Fehler gemacht hat. Dass sie eventuell nicht fair behandelt wurde, weil sie eine Frau ist. Aber ich habe inzwischen genug gesehen, um zu wissen, dass dieselbe Geschichte bei einem Mann anders ausgeht. Das zu wissen, nutzt mir jedoch nicht viel. Im Konfliktfall kann ich nicht so offensiv vorgehen wie ein richtiger Mensch, weil die gesamte Gesellschaft immer hinter den Männern steht. Selbst wenn ich nicht an meine Schuld glaube - alle anderen tun es.
Nun fragen Sie sich vielleicht, wie ich darauf komme, jemals diskriminiert worden zu sein. Weil ich das gerne ausdiskutiere, wenn ich merke, dass etwas nicht stimmt. Und dann kommen wir vom einem zum anderen, und am Ende gehen dem Gegenüber die Argumente dafür aus, warum ich weniger wert bin als ein Mann, bis er dann kategorisch eine der obigen drei Regeln nennt. Damit ist er fein raus, die sind unumstößlich und genügen als Begründung für alles mögliche. Aufschlussreich ist, dass sich bisher bei so einer Diskussion fast nie jemand auf meine Seite gestellt hat, obwohl das Gegenüber offensichtlich im Unrecht war. Mir fällt nur ein Fall ein, wo eine Frau so mutig war. Übrigens eine Asiatin. Ich bin ihr immer noch dankbar für ihren Mut, den nur wenige Frauen aufbringen.
Genug gejammert. Ich gehe noch ein paar Hausarbeiten korrigieren, damit ich morgen wieder die kreativen Projekte bearbeiten kann.
Andrea Herrmann