Ein neu erschienener Artikel in der Zeitschrift Science von Cimpian, Kim und McDermott hat gründlich den Werdegang von fast 6000 Schülern untersucht. Dabei wurde auch deren Leistungsniveau berücksichtigt. Das Ergebnis überrascht mich nicht, habe ich einiges davon schon selbst im Studium beobachtet: Die Mädchen, die ein technisches Fach studieren, die waren schon in der Schulzeit sehr gut und wussten genau, warum sie dieses Fach gewählt haben, während bei den Jungs viele nur darum in dem Studiengang landeten, weil ihnen nichts Besseres einfiel oder weil es hieß, man habe damit später gute Chancen auf einen fürstlich bezahlten Job. Begabung spielte bei der Wahl dieses Studienfachs nur bei den Mädchen die wichtigste Rolle.
Leider hört die Studie hier anscheinend auf. Ich berufe mich momentan auf eine Zusammenfassung von Sibylle Anderl in der FAZ, werde mir den ganzen Artikel jedoch besorgen, sobald ich wieder an der Hochschule bin. Schmerzhafter finde ich persönlich die Folgen, die diese Ungleichverteilung der Begabungen im Berufsleben hat. Denn folgerichtig ist es sehr wahrscheinlich, dass bei der täglichen Arbeit eine leistungsstarke Frau mit leistungsschwachen Männern zusammenarbeiten muss, auf derselben Hierarchieebene oder sogar mit einem weniger begabten Chef. Jedoch verlangen die Regeln der Machogesellschaft (bzw. Misogynie), dass jede Frau unter jedem Mann stehen muss. Nach meiner Beobachtung legen besonders Männer einen Wert darauf, die in der Hierarchie der Männer weiter unten stehen, z. B. solche, die schlecht verdienen, nicht studiert haben, ihre Doktorarbeit abgebrochen oder dergleichen. Gerade so einer wird nervös oder sogar offen feindselig, wenn er erfährt, dass ich als Frau etwas geleistet habe, was er noch nicht getan hat (z. B. ein Fachbuch geschrieben oder auf einer Konferenz vorgetragen), mehr verdiene als er oder einfach nur studiert habe. Oft genug bleibt es nicht bei Aggressionen und Unterstellungen vor versammelter Mannschaft ("Diesen Artikel können Sie nicht selbst geschrieben haben, weil Ihnen [als Frau] die Kompetenz dafür fehlt!"), sondern die steigern sich gerne auch so in ihre Feindseligkeit hinein, dass Lügen verbreitet werden, um mich fertig zu machen. Als Beispiel ein Fall, wo ein Lehrbeauftragter (der nicht studiert hatte), sich darüber ärgerte, dass ich als Vertretungsprofessorin für meine Vorlesungen mehr Lohn erhielt als er. Seiner Meinung nach war er höher qualifiziert und mehr wert als ich, weil er nämlich schon in der Praxis gearbeitet hatte, was ich als Frau Doktor Privatdozentin ja nicht getan haben konnte. (Ich habe sieben Jahre lang in IT-Firmen gearbeitet.) Er machte mich systematisch bei meinen Studenten schlecht und sie glaubten ihm natürlich, dass ich noch nicht in einer Firma gearbeitet habe. Jede Woche fragte er sie, was ich in meiner Vorlesung behandelt habe und erklärte ihnen, dass sie diese weltfremden Uni-Methoden (z. B. die UML) nicht zu lernen brauchen, weil die in der Praxis grundsätzlich nicht verwendet werden. In der Machogesellschaft zählt das Wort eines Mannes immer höher als das einer Frau. Wenn ich erzähle von Projekten, die ich während meiner Berufstätigkeit in IT-Firmen geleitet habe, und irgendein Mann, der mich gar nicht kennt, behauptet, ich hätte immer nur an der Uni gearbeitet oder sei sogar mein Leben lang Hausfrau gewesen, dann wird natürlich ihm geglaubt. Warum sollte er lügen? Und falls er lügt, wird er gute Gründe dafür haben, so die spontane Meinung der Machogesellschaft, was mir schon oft so gesagt wurde. Dieser Mann war so überzeugt von seiner Weltsicht und der moralischen Richtigkeit seiner Handlung, dass er mir ganz freimütig und ohne schlechtes Gewissen auf der Weihnachtsfeier davon erzählte. Er belehrte mich dort lang und breit, dass ich den Studenten völlig die falschen Inhalte beigebracht hätte, die sie für das Berufsleben nicht benötigen. Er ignorierte meinen Hinweis, dass ich in meinen Projekten sehr wohl UML verwendet habe. Er hatte in der Vorlesung "Hardware Engineering" Softskills gelehrt und Rollenspiele gemacht. Als ich ihn auf das Modulhandbuch hinwies, in dem steht, was in der jeweiligen Vorlesung zu behandeln sei, winkte er ab mit einem Hinweis auf seine Missachtung von akademischer Bildung im Allgemeinen. Für das Berufsleben seien die Softskills viel wichtiger. Seine Kursbewertung fiel natürlich viel besser aus als meine. Natürlich hat dieser Mann auch darum so gehandelt, weil er zu den im Artikel genannten Menschen mit niedriger Leistung und Selbstüberschätzung gehört. Aber es ist doch ein Mann-Frau-Problem, dass er sich ausgerechnet mich aussuchte, um sich auf meine Kosten bei den Studenten als "kompetener als die Unileute" positioniert. Was gezeigt werden sollte: Diese sich selbst überschätzenden inkompetenten Männer, die mehr sein wollen als sie sind, sind die geborenen Feinde der erfolgreichen Frau.
In dem oben genannten Artikel klingt es so als würden die leistungsschwachen Männer und die leistungsstarken Frauen als getrennte Gruppen nebeneinander her studieren, unabhängig voneinander. Tatsächlich gibt es auch hier schon leichte Wechselwirkungen, z.B. wenn ein in der Prüfung erfolgloser männlicher Student alle Kommilitoninnen nach ihrer Note fragt mit dem Ziel, jemanden zu finden, der noch schlechter war als er. Einem entfuhr in der Situation mal: "Scheiße, jetzt sind sogar die Mädchen schon besser als ich." Zum Glück hängt die Note beim Studium nicht von der Meinung der Kommilitonen ab. Im Berufsleben aber schon! Da gibt es Abhängigkeiten, z. B. hängt meine Leistung davon ab, dass ich von den Kollegen die dafür nötigen Informationen und Zuarbeit erhalte oder sogar bewusst angelogen werde. Nach meiner Beobachtung sind die Kollegen immer so lange nett und freundlich, solange sie noch annehmn dürfen, ich sei Berufsanfängerin. Wirklich überall ist das die Default-Annahme bei einer Frau. Die Feindseligkeit beginnt immer ganz abrupt in dem Moment, wo ich irgendeine Vorerfahrung erwähne. Dann entgleisen die Gesichtszüge. (Die FH Dortmund möchte ich hier ausdrücklich ausnehmen, da habe ich das noch nicht beobachtet. Das liegt vermutlich daran, dass es dort schon sehr viele kompetente Frauen gibt.)
In diesen Zusammenhang passt auch eine aufschlussreiche Studie, die zeigt, dass Frauen durch ihren männlichen Vorgesetzten umso schlechter bewertet werden, je höher sie qualifiziert sind. Nach meiner Beobachtung ist es für einen Chef noch erträglich oder sogar erfreulich wenn "einer von seinen Männern" etwas Großes leistet. Schließlich gehören sie zum selben Team. Aber die Mitarbeiterin soll bitte nicht den Chef übertrumpfen, also z. B. nicht auf einer Konferenz einen erfolgreichen Vortrag halten, wenn der Chef mit seinem eigenen Vortrag nicht zufrieden war.
So, ich muss jetzt erstmal wieder Puls und Stresslevel runter bringen und dann gehe ich noch was leisten. Irgendetwas Geniales, das mir am Ende doch nicht als Leistung angerechnet wird, "weil Frauen sowas doch normalerweise nicht können" oder "weil das doch das Wissen eines Mannes sein muss" (Original-Töne).
Andrea Herrmann