Das Zeitmanagement ist ja ein Bereich, in dem man leicht einen Selbstversuch machen und schnelle quantitative Ergebnisse erzielen kann. Nun im Juli habe ich etwas ausprobiert: Den ganzen Tag über schreibe ich mir auf, woran ich wie lange gearbeitet habe. Aber nicht chronologisch, sondern schon nach Tätigkeiten sortiert als Strichliste, damit abends nicht das große Kopfrechnen losgeht. Der Übersichtlichkeit halber unterscheide ich nach den drei größten Kategorien: Lehre für die AKAD, restliche Lehre und Sonstiges (Organisatorisches, Forschung, Schreiben, Vereine, Fortbildung und so weiter.)
Nun habe ich mal die Reihenfolge umgedreht, also AKAD-Lehre nicht mehr oben, sondern ganz unten. Dafür das Sonstige von unten nach oben. Die Forschungsfrage lautete, ob denn diese Sortierung meine Priorisierung und damit die Aufteilung meiner Arbeitszeit beeinflusst. Finde ich mehr Zeit für Sonstiges, einfach nur dadurch, dass ich diese Reihenfolge ändere? Wirkt sich die Reihenfolge also tagsüber auf meine Entscheidungen aus, welche Aufgabe ich als nächste in Angriff nehme?
Wohl eher nicht. Man könnte es als Bestätigung der Hypothese werten, dass ich im Juli mehr Zeit für Forschung und Schreiben fand als im Vormonat, aber bei der Forschung war es doch weniger als während meiner Gastprofessur. Gegen die Hypothese spricht, dass ich für die AKAD im Juli mehr gearbeitet habe als in den vier Monaten davor, obwohl sie doch nun ganz unten stand. Die sonstige Lehre war deutlich weniger, weil bei fast allen anderen Hochschulen, wo ich arbeite, gerade vorlesungsfrei ist. Da sind höchstens noch ein paar Klausuren zu korrigieren. Es fiel einfach weniger an, bei der AKAD war gerade irgendwie Hochkonjunktur bei Laborberichten und Abschlussarbeiten. Außerdem habe ich drei Samstags-Labore gehalten. Gerade die Menge an Lehre, die ich leiste, erfolgt ja auftragsgetrieben. Wenn man mir Klausuren zur Korrektur schickt, korrigiere ich sie, wenn nicht dann nicht. Wenn Seminare stattfinden, dann halte ich sie, wenn nicht dann nicht. Eigentlich kann ich nur über die restliche Zeit frei verfügen und hier priorisieren, ob ich lieber Fachliteratur lesen, Fragebögen auswerten, ein Buch schreiben oder Unterlagen abheften möchte. Diese frei verfügbare Zeit beträgt die Hälfte meiner Arbeitszeit, rechne ich gerade aus. Das ist mehr als erwartet. Das liegt nicht an einer schlechten Auslastung, sondern daran, dass ich fast Vollzeit Lehre mache und nochmal dasselbe für Sonstiges drauf lege, also insgesamt über 300 Stunden pro Monat arbeite. Als Angestellte war es nicht ganz so viel, aber auch da galt für mich das Prinzip, dass ich während der bezahlten Vollzeit die Aufträge von oben bearbeite und in den Überstunden mich fortbilde und kreative Projekte mache. Da wurde der Job dann erst spannend. Blöd von meinen Chefs, dass sie immer davon ausgingen, ich würde die Spaßprojekte während der bezahlten Arbeitszeit machen UND meine normale Arbeit darum liegen lassen. Hab ich nicht. Ich habe aber auch nicht eingesehen, warum ich in den unbezahlten Überstunden langweiligen Krempel arbeiten sollte. Aber, klar aus Arbeitgebersicht heißt es dann: "Da geht noch mehr. Haltet sie von der Fortbildung ab und quetscht noch mehr Routinearbeit aus ihr raus." Naja, die Arbeitgeber bekommen mit dieser Einstellung genau die Mitarbeiter/innen, die sie verdienen. Dienst nach Vorschrift und dann nach Hause, weil Engagement, Begeisterung, Überstunden und Leistung eh nicht gewürdigt, sondern für ein Zeichen der Schwäche, falscher Priorisierung oder sogar einer psychischen Störung gehalten werden.
Ich weiß, das klingt jetzt nach einem Widerspruch. Einerseits priorisiere ich nach Dringlichkeit, andererseits halte ich offensichtlich Zeitbudgets ein. Ist aber kein Widerspruch. Ich nehme immer nur so viel Brot-Arbeit an, dass die Zeitbudgets am Ende passen. Oder versuche es. Als Angestellte geht das eben nicht, da werden Grenzen nicht geachtet. Hinzu kommt, dass die "sonstigen" Tätigkeiten ja meist auch Abgabetermine und eine gewisse Eigendynamik entwickeln, so dass die Aufgaben hier auch dringend werden.
Aber zurück zum Selbstversuch: Ich denke, die Hypothese war es wert, geprüft zu werden. Manchmal wirken sich Kleinigkeiten unerwartet stark auf Entscheidungen aus, z. B. die Reihenfolge in der Darstellung. Manchmal aber auch nicht. Ich habe mir diesen Monat ein wenig bei der Priorisierung selbst über die Schulter geschaut und festgestellt, dass es eben doch nach To-do-Liste geht und nicht nach Zeitaufschrieb. Wenn ich darüber entscheide, welche Aufgabe ich als nächste anpacke, suche ich mir von der heutigen To-do-Liste die dringendsten zuerst heraus. Das geht nicht nach dem Motto "Oh, mit Lehre habe ich schon so viel Zeit verbracht heute, dann sollte ich damit Schluss machen und noch schnell was forschen." Das ist kein Argument.
So, und ich verschwinde jetzt wieder in der Rubrik "Lehre". Ich habe noch einen Kurs vorzubereiten, da gibt es nichts wegzupriorisieren!