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Von Managern und Ameisen

Immer wieder muss ich feststellen, dass Manager in anderen Sphären schweben als der Normalsterbliche auf der operativen Ebene. Die normale Ameise denkt in zwei Dimensionen: Lasten, die bewegt werden müssen, Hindernisse, die mühsam umgangen werden müssen, Steigungen, die man überwinden muss. Stück für Stück, Bröckelchen für Bröckelchen. 

Manager werden dazu geschult, größer und weiter zu denken, aus der Vogelperspektive auf die krabbelnden Ameisen hinunter zu blicken, den Horizont ins Auge zu fassen und darüber hinaus zu denken. Der Manager ist schwerelos, den physikalischen Gesetzen entrückt. 

Diese Kluft führt zu regelmäßigen Kommunikationsproblemen, da Manager aus ihrer vermeintlich überlegenen Weltsicht heraus alles uminterpretieren und übersetzen, was ihre Ameisen ihnen mitteilen. Meldet das Fußvolk ein Problem, wird es uminterpretiert, beispielsweise psychologisch. Vermeldet der Arbeitstrupp Verzug und Überlastung, übersetzt der Manager dies in "Wir möchten bitte stärker überwacht und betreut werden, weil wir uns emotional überlastet fühlen mit der Verantwortung. Wir brauchen jemanden, der uns das falsche Gefühl gibt, für unsere Arbeit nicht mehr verantwortlich zu sein. Dann können wir beliebig effizient arbeiten." Überhaupt gibt es keine Fakten, keine Probleme, keine Überlastung. Das sind Konzepte der armen emsigen Kreaturen, die auf der sandigen Ebene herumkrabbeln und versuchen, Tannenzapfen durch Flüsse und über Hügel zu schleppen. Von oben betrachtet, existieren diese Mühen und Hindernisse gar nicht, sondern nur im Kopf der Ameise. Dass diese Weltsicht falsch sein könnte, kommt dem Manager nicht in den Sinn, weil er gelernt hat, dass man sich seine Realität völlig frei selbst definieren kann. 

Bestätigt wird diese Weltsicht dadurch, dass sich die einst gemeldeten Probleme von selbst erledigen, auch diejenigen, die von den Ameisen als besonders drängend und unlösbar gemeldet wurden. Plötzlich sind sie weg, niemand redet mehr davon. Manchmal führt die Strategie des Ignorierens tatsächlich dazu, dass die Ameisen einen Weg finden, unter enormem persönlichen Einsatz das Problem mit ihren beschränkten Mitteln zu lösen. Unbezahlte Überstunden sind eine der wenigen Maßnahmen, die engagierte Ameisen ergreifen können. Ihre eigene Freizeit ist die einzige Ressourcen, über die sie selbst verfügen können, alle anderen Ressourcen müssen sie mühsam beantragen und bekommen sie oft nicht bewilligt. Angeblich weil die Begründung nicht überzeugend war. Doch da die Ressourcen der Ameisen begrenzt sind und manche Probleme tatsächlich unlösbar sind, klappt das nicht immer. Man nehme den Abgasskandal: Hier waren die Vorgaben technisch-physikalisch nicht sinnvoll umsetzbar. Das Ignorieren der Probleme durch das Management hat natürlich wie immer die Kreativität der Ameisen angeregt, aber da eine moralisch einwandfreie Lösung nicht möglich war, musste eine illegale Lösung her. Viele andere kreative Lösungen laufen auf "Quick and dirty" hinaus, Probleme werden so "gelöst", dass sie erst später wieder hochkommen und dann noch viel mehr Ungemach verursachen. 

Besonders seltsam finde ich aber die Manager-Ansicht, dass wenn eine Ameise sich übermenschlich für ihren Job engagiert, dass dies ein gutes Zeichen sei: Diese Ameise wird dies bis an ihr Lebensende tun, weil es ihrer Persönlichkeitsstruktur entspricht, weil sie keine Freizeit benötigt und weil es ihr offensichtlich psychisch ein gutes Gefühl gibt. Schließlich hat sie sich vollständig freiwillig dafür entschieden, ihre persönliche Zeit und Kraft der Arbeit zu widmen. Niemand hat ihr den Befehl dazu gegeben. Da sie es freiwillig tut, gibt es auch keinen Grund dafür, dies als Problem anzusehen, selbst wenn die Ameise selbst es als Problem bezeichnet. In Wirklichkeit will sie einfach nur das Köpfchen getätschelt bekommen und ein wenig Dank mit ihrem Gejammer einheimsen. Die Verzweiflungstat wird nicht als solche erkannt.

Irgendwann wird selbst die energischste Ameise mit Bitten um Unterstützung ("Gejammer") und mit ihren unzureichenden Begründungsversuchen aufhören und resignieren. Irgendwann fehlt für Widerstand gegen den Irrsinn sowieso die psychische und physische Kraft, wenn eine kräftezehrende Notlösung zum Normalzustand wird. Es wird also nicht mehr gejammert. Folglich geht der Manager davon aus, dass das Problem sich mal wieder von selbst erledigt hat oder gar keines war. Er hat der Ameise das Kopfitätscheln verweigert, also bittet sie auch nicht mehr darum. Außer unbezahlten Überstunden ist die Kündigung die zweite Entscheidungsfreiheit, die der Ameise zur Verfügung steht. Wenn die Ameise dann ihre Stelle kündigt, passt das nicht in dieses Bild, aber diese Ameise hat sich ja vorher schon als labil erwiesen, indem sie Probleme meldete, die gar keine waren. Sie sieht überall Gespenster. Und genau das ist auch der Grund, warum sie sauer auf die Manager sind, die ihr doch zugehört und sogar hin und wieder sie gelobt haben. Das war doch genau das, was sie wollte. Am besten ersetzt man diese psychisch labile Ameise durch jemanden, der genauso tickt wie der Manager. Jemand, der keine Probleme sieht, keine Probleme löst und immer gut drauf ist, weil er von der Realität abgelöst immer glücklich ist. 

Ich frage mich wirklich, wo eine Wirtschaft hintaumelt, die von solchen Menschen gesteuert wird. Die fleißigen Ameisen allein können eine Firma nicht retten. Oder doch? Es gibt ja so viele davon! Andererseits geht der Trend dahin, dass sich die Hälfte der als Ameisen Eingestellten bereits vorab schon im Managersein übt, indem sie denken wie ein Manager. Das belohnt man ihnen irgendwann vielleicht mit einer Beförderung, da sie schon das passende Mindset verinnerlicht haben. Manchmal aber auch nicht, weil die Ameisen ihre Rolle nicht gut ausgefüllt hat. Andererseits wiederum beurteilt ein Manager seine Ameisen nicht danach, ob sie das tun. 

Ich bin ratlos. Ratlos, weil anscheinend ich die einzige bin, die dieses Megaproblem überhaupt sieht. Vielleicht muss es einfach mal jemand in Worte fassen? Unsere Wirtschaft kann so nicht überleben. Auf jeden Fall löse ich für mich dieses Problem, indem ich gekündigt habe. Ich bin eine bekennende Ameise, aber trotzdem mag ich es nicht, wenn ich Managern ausgeliefert bin. Mehrmals am Tag nehme ich nämlich auch die Vogelperspektive ein, um meine Wege und Handlungen an MEINE Visionen anzupassen. Nur erreicht man als Einzelner und als Firma nur dann den Horizont, wenn man Schritt für Schritt dort hingeht. Wilde Geschichten darüber, was man alles tun könnte, würde, wird, die überlasse ich anderen. Ich bins gewohnt, durch Handeln meine Visionen zu realisieren. Notfalls mit eigenen Händen! Ich brauche dafür weder Ameisen unter mir noch Geier über mir.

Andrea Herrmann

Disclaimer: Natürlich meine ich hiermit niemand Bestimmten. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig. Vielmehr bezieht sich dieser Artikel auf meinen allgemeinen Eindruck aus 28 Jahren Berufstätigkeit. Natürlich übertreibe ich, um in überspitzter Form subtile Trends sichtbar zu machen. 

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