Eine Sache beschäftigt mich immer wieder, seitdem Schulungen mein Hauptjob sind, also seit 2012. Es ist nämlich so, dass Kursteilnehmer/innen am liebsten von einem Trainer lernen, der das lehrt, was er beruflich den ganzen Tag tut. Das heißt, einen Programmierkurs möchten sie am liebsten von einem Programmierer und einen Projektmanagementkurs von einer Projektmanagerin. Das Problem dabei besteht, dass dieser Programmierer oder diese Projektmanagerin erstens didaktisch keine Profis sind und zweitens nicht unbedingt den Überblick haben. Der Programmierer kennt zwar den Code, an dem er arbeitet, aber nicht unbedingt neuste Trends oder Werkzeuge, die in seiner Firma nicht eingesetzt werden. Das heißt, derjenige lehrt eventuell Methoden, die beim Kursteilnehmer so gar nicht funktionieren. Das würde ich als Trainer-Paradoxon bezeichnen. Ein Trainer ist optimal qualifiziert, um den Kurs zu halten, aber die Teilnehmer/innen möchten ihn trotzdem nicht.
Trotzdem finde ich es gut, wenn es professionelle Trainer oder Experten gibt, deren Hauptberuf darin besteht, Wissen über verschiedene Methoden, Werkzeug und neuste Trends zu sammeln und didaktisch aufbereitet weiterzugeben. In einer Vertriebsschulung wurde mir mal der Unterschied zwischen einem Trainer und einem Experten erklärt. Trainer sind quasi Schauspieler, die mit Hilfe bereitgestellter oder auch selbst erstellter Kursunterlagen praktisch jedes Thema lehren können. Bei weiterführenden Fragen müssen sie allerdings passen und sich irgendwie rausschummeln. Experten kennen sich tiefgehend mit ihrem Thema aus, bilden sich ständig fort und lehren nur dieses Thema. Belegen kann man diese Expertise durch Bücher, Artikel und Vorträge. Was nicht verhindert, dass Trainer durch Ghostwriter Bücher schreiben lassen oder bei Vorträgen Folienkaraoke betreiben, um Expertise vorzutäuschen.
Manches Mal habe ich überlegt, "meta zu gehen", wie ich das gerne nenne. Also vermehrt "Metaschulungen" zu halten. Als "Train the Trainer" Kurse, Schulungen darüber, wie man Schulungen hält. Das zweite Paradoxon dabei ist: Je mehr ich Kurse halten würde über "Wie man Software Engineering Schulungen hält", umso weniger Zeit hätte ich, genau dies zu tun. Ich müsste also irgendwann noch eine Stufe höher ins Meta gehen und Schulungen darüber halten, wie man "Train the Trainer" Kurse gibt. Und dann ist hoffentlich Zeit für die Rente, haha. Denn auf diesem Weg entfernt man sich immer weiter von dem, was man eigentlich mal gut konnte und wird immer allgemeiner qualifiziert.
Aber im Ernst: Genau aus diesem Grund gebe ich regelmäßig auch Kurs über Arbeitstechniken, die ich selbst täglich anwende: Zeitmanagement, Speed Reading, Anti-Lampenfieber-Kurs, demnächst ein Kurs über "KI für Trainer". Als Ergänzung nicht, als Ersatz. Meine Expertise liegt nach wie vor im Requirements Engineering und dort speziell im Requirements Engineering. Coaching oder Mentoring wäre auch mal so ein Schritt ins Meta. Ulkigerweise werden Coachings vor allem von solchen Leuten angeboten, die selbst zwar oft unterdurchschnittlich erfolgreich waren im Berufsleben, aber dann anderen für viel Geld vorgefertigte Kalendersprüche verkaufen, die angeblich dabei helfen, erfolgreich zu werden. Die wirklich Erfolgreichen haben jedoch kaum Zeit, um ihre Erfahrung weiterzugeben. Ich habe das jetzt schon zwei Mal im Rahmen eines Mentoring der GI gemacht. Kostenlos. Ich helf ja gerne, auch oder gerade darum, weil mir niemand geholfen hat. Die Ratschläge, die ich in meinem Berufsleben bekommen habe, waren meistens eklatant schlecht. Ob absichtlich oder nicht, lässt sich meistens nicht unterscheiden. Der Unterschied zwischen einem Coach und Mentor ist übrigens ähnlich wie beim Trainer und Experten: Der Coach kennt Coaching-Methoden, die man überall anwenden kann, während der Mentor sich inhaltlich auskennt, mit oder ohne Coaching-Methoden. Der Coach hat darum auch alle als Zielgruppe, der Mentor nur diejenigen, die denselben Weg gehen wollen, den er gegangen ist.
Die Alternative zum "Meta-Gehen" besteht natürlich darin, immer mal wieder in Software Engineering Projekte reinzusehen, z. B. bei Kunden oder im Rahmen von Forschungsprojekten. Dazu nutze ich jede Gelegenheit. Das gehört zum Expertinsein auch dazu. Hier muss man wie so oft strategisch denken.