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PS: Studierende

PS: Das ist so eine Sache, die die Lehre an Dualen Hochschulen und Abend- bzw. Fernhochschulen angenehmer macht. Die Studierenden dort sind zu 99% professionell! Da werden Termine und Vereinbarungen eingehalten oder in den wenigen gut begründeten und glaubhaften Ausnahmen abgesagt. Die Kommunikation ist höflich und tadellos, da macht die Zusammenarbeit mehr Freude!

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Was soll nur aus diesen Studis mal werden???

Also, ich frage mich ja schon, was aus jungen Leuten werden soll, die solche Fähigkeiten der Selbstorganisation und Kommunikation haben... :-( 

Ein paar Beispiele haben mich in letzter Zeit mal wieder sehr frustriert: 

Wir haben eine mündliche Prüfung angesetzt. Die Studentin ist krank und hat am Tag vor der Prüfung noch einen Arzttermin, teilt sie mir mit. Ich dachte, das hieße "Ich kläre dann ab, ob ich prüfungsfähig bin und falls nicht, melde ich mich sofort." Es kam dann aber keine Nachricht. Für mich erschwerend kam hier hinzu, dass wir auf ihren ausdrücklichen Wunsch die mündliche Prüfung in Heidelberg in Präsenz geplant hatten. Virtuell wäre ja auch gegangen. Da die Zugverbindungen fast niemals funktionieren, hätte ich recht früh los müssen, um sicher pünktlich zu kommen. Ich hatte sie darum gebeten, mir bitte vor 7 Uhr morgens Bescheid zu geben, also bevor ich los fahre. Das ist nämlich schon oft genug passiert, dass die Absage des Studenten so spät kam, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon im Zug saß oder sogar schon in Heidelberg angekommen war. Ein Mal hatte ich sogar den Prüfungsraum durchdesinfiziert für diese schriftliche Ein-Personen-Prüfung, und dann kam keiner! Gut, aber um 18 Uhr fragte ich mich, ob es nicht möglich sein könnte, dass ich schon eine Information bekomme, bevor ich meinen Wecker stelle! Um 18 Uhr hakte ich dann nach. Es kam sogar schnell eine Antwort: Nein, sie sei nicht prüfungsfähig. Sie habe nicht früher Bescheid geben können, weil der Arzttermin erst am Abend stattfand. Ich hakte nach wegen ärztlichem Attest. Natürlich keines. Es ist inzwischen quasi die Regel, dass die Studierenden sich bei Prüfungen ohne ärztliches Attest krank melden. Sehr lustig fand ich auch mal die Behauptung man habe kein Attest, weil der Student per Video-Call einen indischen Arzt um Rat gefragt habe. Ja, aber auch ein indischer Arzt müsste doch die Möglichkeit haben, ein digitales Attest in englischer Sprache zu erstellen? 

Bei schriftlichen Prüfungen weiß ich inzwischen grundsätzlich nicht, wie viele Studierenden sich einfinden werden. Es gibt zwar klare Regeln für die An- und Abmeldung, aber wen interessiert das schon? Bei meinen Prüfungen darf man sich üblicherweise bis zu 48 Stunden vorher an- und abmelden, was ich recht kulant finde. Trotzdem bekomme ich wirklich jedes Mal noch kurzfristigere Abmeldungen, natürlich ohne Attest. Manche Prüflinge erscheinen auch gar nicht und wenn ich sie dann anmaile, ob sie ein Attest haben, erfinden sie irgendwelche Begründungen. Von selbst melden sie sich nicht mal, wenn sie eine Prüfung verpasst haben. Ich warte da nämlich immer erstmal eine Woche ab, ob sich was regt. Natürlich habe ich auch regelmäßig Prüfungsteilnehmer, die sich nicht angemeldet hatten. Wozu auch? Ich drucke ja sowieso immer ein paar Exemplare mehr. :-( 

Gestern war dann noch Prüfungseinsicht. Und wie das immer so ist: Die Studierenden, für die man eine Ausnahme macht, die bereiten den meisten Ärger. Prüfungseinsicht war von 17:30 bis 18:00 Uhr. Aber das konnte nicht jeder einrichten. Zwei Studierende hatten zu der Zeit wohl Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht, wo sie unabkömmlich waren. Also hatte ich mit ihnen vereinbart, dass ich bis 18:10 Uhr auf sie warte. Ich wartete bis 18:25 Uhr, aber keiner von den beiden kam. Die eine Studentin schreibt mir heute Morgen eine E-Mail, die beginnt mit "Liebe Andrea" (Ich wusste nicht, dass wir per Du sind) und schreibt mir, dass sie kurzfristig habe arbeiten müssen. (Und das war so kurzfristig, dass man nicht absagen konnte? Sie wusste doch, dass ich extra wegen ihr länger bleibe!) Jetzt will sie gerne diese Woche noch einen neuen Termin mit mir, aber nicht am Donnerstag. In Heidelberg. Ich musste mir hier erstmal meinen Frust von der Seele schreiben, damit ich ihr nicht eine geharnischte wütende E-Mail schreibe. Die Studierenden zeigen keinerlei Respekt vor meiner Zeit und Zeitplanung. Ich bin anscheinend ein beliebig verfügbarer Dienstleister, der "eh da" ist. Aber nach Heidelberg habe ich vier Stunden Fahrtzeit mit den Öffis und muss für jeden Präsenztermin extra anreisen. Das war gestern für zwei Stunden schriftliche Prüfung und Prüfungseinsicht ein kompletter Tagesausflug. Das mag ihnen nicht immer so präsent zu sein, egal wie oft ich das betone, weil es ihnen nämlich egal ist. 

Ganz sicher gab es zu meiner Zeit, als ich studierte, auch schon Chaoten, und die haben dann einfach nicht fertig studiert, z. B. eben weil sie Fristen verpassten. Das fanden sie ungerecht, weil das ja nichts über ihre Kompetenz aussagt. Ich behaupte gerne, das Einhalten von Fristen gehöre zu den Kompetenzen eines Akademikers dazu, genauso auch das Einhalten von anderen Regeln wie Seitenbeschränkungen bei Texten oder dass man in Prüfung das schreibt, was der Prüfer lesen will, und nicht Romane über irgendein anderes Thema, das einen selbst mehr interessiert. Insbesondere muss man nicht Leute verärgern, von denen man noch eine Note erhalten möchte. Das ist im Berufsleben auch so. 

Was für mich jetzt auch offen, aber egal ist: In meiner Vorlesung waren rund 100 Studierende eingeschrieben. 88 haben sogar die Hausaufgaben eingereicht. Nicht alle pünktlich. Manche erledigen das alles gesammelt am Semesterende. Ich überlege ernsthaft, das nicht mehr zuzulassen. Es bereitet mir Extraaufwand und macht didaktisch keinen Sinn. Ich werde bei Gelegenheit mal prüfen, welche Noten diese Späteinreicher überhaupt noch erzielt haben. Jedenfalls sind nun 10 Studierende übrig, die immer noch nicht die Prüfung abgelegt oder bestanden haben. Keine Ahnung, wie deren Pläne aussehen. Ich habe dieses Wintersemester aufgrund zahlreicher Faktoren und weil ich viel zu nett bin, vier Prüfungen angeboten. Und manche konnten es immer noch nicht einrichten! Früher genügte es, dass ich zwei Prüfungen anbiete. Wer bei der ersten fehlte oder durchfiel, schaffte es dann bei der zweiten. Verkompliziert wird die Situation inzwischen nicht nur durch die Unzuverlässigkeit der Studierenden, sondern auch dass die ausländischen Studierenden gewisse Randbedingungen haben wie "Ich brauche die Note vor dem 28. Februar" oder "Ich bin den ganzen März in Indien bei meiner Familie". Aber die Verpeiltheit ist doch ein wichtiger Faktor, sonst hätten doch die Prüfungen im Februar und März ausgereicht, um alle durchzuschleusen. 

Ich sehe aber doch eine massive Verschlechterung. Vor zwanzig Jahren genügte es, wenn ich am Anfang des Semesters die Termine für Prüfung, An- und Abmeldung mitzuteilen und dann funktionierte das. Zumal ich diese Regeln entweder auf den Folien oder in Moodle oder sogar in beiden Medien schriftlich festhalte, so dass man sie jederzeit nachschlagen kann! Heutzutage muss ich vor jeder Frist eine Erinnerungsmail verschicken, aber die fruchtet ja wie oben gesehen auch wenig. Besonders ulkig finde ich, wenn Studierende mir Vorwürfe machen, sie hätten die Frist verpasst, weil ich die Erinnerungsmail zu früh oder zu spät geschickt habe. Das ist bitteschön ein freundlicher zusätzlicher Service von mir! 

Klar, die Studierenden denken vermutlich, dass ich für die Vorlesung ganz astronomische hohe Honorare bekomme und für das viele Geld ruhig mal ein wenig was arbeiten könne. Dabei kriegen die für ihre Studentenjobs mehr als ich für die Vorlesung. Jede Extraleistung wie noch ne Prüfung erbringe ich kostenlos und die Fahrt- und Reisenebenkosten für die Vorlesung in Heidelberg bezahle ich aus eigener Tasche. Umso mehr ärgert mich das alles. Ich denke, nächstes Semester ziehe ich andere Saiten auf. Vor zwanzig Jahren waren die Studierenden noch dankbar dafür, wenn ich kulant war oder für sie etwas extra gemacht habe, aber das gibt´s nur noch selten.

Das passt jetzt alles sehr gut zu den Grundschulkindern, die für Gummibärchen nicht "danke" sagen. Wenn es nur um die Gummibärchen ginge, wäre das ja noch eine Kleinigkeit, aber dahinter steckt eine gewisse Grundeinstellung, die sich später im Leben auch nicht ändert. 

OK, und zum Schluss noch: Ich werde dieser Studentin eine wütende E-Mail schreiben...

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Gummibärchen und die Jugend

Ich fand gerade einen Artikel sehr interessant, in dem eine Beobachtung einer Grundschullehrerin diskutiert wird. Sie ging mit einer Tüte Gummibärchen durch die dritte Klasse und jedes Kind durfte sich ein Gummibärchen herausnehmen. Allerdings haben sich nur zwei von 25 bedankt. Sie sagte ihnen, dass sie das sehr schade fand und nun traurig sei. Dann folgte der normale Unterricht. Am Ende verteilte sie erneut eine Runde Gummibärchen. Sie erwartete, dass sich nun alle Kinder bedanken würden, doch es waren nur fünf! 

Die Diskussion dazu fand ich recht schwach. Gummibärchen seien heute eben nichts Besonderes mehr für die Kinder. Und man müsse sie ja auch nicht gerade dressieren. Ähm?? Mich hat man noch dazu dressiert, sogar dann Freude zu zeigen, wenn mir ein Geschenk gar nicht gefällt. Oder immer Sekt mitzutrinken, obwohl ich ihn gar nicht mag. Wenn ich ihn ablehnte, dachte der Feiernde nämlich, ich freue mich nicht mit ihm und nahm das persönlich. Zum Glück gibt es heutzutage bei den meisten solcher Anlässe auch Orangensaft zum Anstoßen, so dass ich nicht ohne Glas dastehen muss. Problem gelöst. :-)

Grundsätzlich sollte man sich aber durchaus guter Umgangsformen befleißigen. Es kostet nichts, vermeidet aber unnötige Konflikte. Beispielsweise staune ich über Leute, die mir erklären, wer höflich zu chatGPT sei, der sei blöd, weil er chatGPT für einen Menschen hielte. Nein, das ist eine falsche Schlussfolgerung. Für mich sind "bitte" und "danke" Teil meines ganz normalen Kommunikationsstils. Um diese Wörter wegzulassen, müsste ich mich extra konzentrieren und verstellen. Ich müsste absichtlich einen ungewohnt unhöflichen Kommunikationsstil wählen, und das kostet mich zu viel geistige Energie. Naja, jetzt kann ich mir vorstellen, wie viel Energie es Menschen kostet, höflich zu sein, wenn sie das nicht gewohnt sind. Kein Wunder, dass sie das nur dann machen, wenn sie glauben, dass es sich lohne.

Vielleicht ist ein wenig Dressur in der Erziehung gar nicht so falsch. Höflichkeit kann dadurch einfach eine Gewohnheit werden. Aber für viele Menschen ist Höflichkeit etwas, das sie nur aus dem Schrank holen wie das Abendkleid, wenn ein besonderer Anlass vorliegt. Dankbarkeit ist auch aus der Mode, denn jeder kennt seine Rechte. Hin und wieder frage ich mal jemanden "Freust du dich denn nicht?" oder "Bist du denn nicht dankbar?" Und dann fallen Sätze wie "Wieso? Ich habe da doch ein Recht drauf." oder "Wieso? Der Person macht es doch Freude, mir zu helfen, da muss ich mich doch nicht bedanken." oder "Die merkt das gar nicht, dass sie verarscht wurde." Eine Freundin beispielsweise sprang immer an die Decke, wenn ihr jemand etwas in der ihr verhassten Farbe Grün schenkte. OK, ich habe es mir gemerkt und sie bekam nichts Grünes von mir. Viele Menschen haben die Einstellung, dass die anderen ihnen etwas schulden und alles so tun müssen wie sie es sich vorstellen. Mir kommt das so vor als sei so jemand im Alter von vier Jahren stecken geblieben. Natürlich werden sie von den blöden Menschen um sich herum nur ständig enttäuscht, was allein daran liegt, dass sie eben NICHT das Zentrum des Universums sind. Und so sind sie trotz hohem Selbstbewusstsein die ganze Zeit unglücklich. 

Zum Erwachsenwerden gehört es doch dazu zu erkennen, dass man nicht das Zentrum des Universums und mitnichten wichtiger ist als die anderen. Das bildet später im Leben auch die Grundlage für gute Teamarbeit.

Um zu den Grundschulkindern zurückzukehren: Ich merke schon, dass viele Menschen wenig Wert darauf legen, bei anderen beliebt zu sein. Das wäre eine Motivation, der Lehrerin freundlich zuzulächeln und "danke zu sagen", während man das Gummibärchen nimmt. Damit sie sich freut. Wichtiger ist es den meisten, selbstbewusst zu sein und sich im Leben durchzusetzen. Man tendiert ja dazu zu glauben, das würde alles viel schlimmer mit jeder Generation und sei damals zu unserer Zeit nicht so gewesen. Dabei hatte man als junger Mensch einfach weniger den Überblick und letztlich vor allem Freunde, die einem ähneln. Erst in Studium und Berufsleben wird man mit Menschen gemischt und in Teams gestopft, die einen komplett anderen kulturellen Hintergrund haben. Beispielsweise aus einer Familie stammen, wo Danke-Sagen oder gute Schulnoten als Unterwerfungsgeste gelten, und es normal ist, die kleineren Geschwister zu verprügeln, damit sie ihre Schokolade rausrücken. Ich bin nicht sicher, ob es immer schlimmer wird. Grundsätzlich möglich, weil ja die Medien (Fernsehen, Influencer) vor schlechten Manieren nur so strotzen. Das geht schon los mit Fernsehshows, die früher von Herren im Anzug freundlich und höflich geleitet wurden, wo ein ebenfalls höflicher, freundlicher Thomas Gottschalk wegen seiner langen Locken als Hippie auffiel. Und dann diese vielen Spielfilme und Krimis, in denen die Helden Kriminelle sind oder unhöfliche Polizisten und Detektive. Klar, die spielen auch in Milieus der schlechten Manieren, aber genau darum sehe ich mir so etwas so ungern an. Wie sollte ich mich identifizieren mit Leuten, die dauernd unnötig ruppig zu anderen sind und Konflikte schüren statt sie zu lösen? Darum ist ja auch Kommissar Kuhn von Jan Weiler mein Lieblingsermittler. Der hat sogar Mitgefühl! 

Einerseits denke ich, man muss die Unhöflichkeit der anderen nicht zu ernst nehmen, weil sie eher eine schlechte Angewohnheit ist als persönlich gemeint. Andererseits hat sie durchaus etwas zu bedeuten, besonders wenn wie in dem Fall der Lehrerin sie ja recht klar gesagt hat, dass sie es gerne sähe, wenn man sich bedankt. Aber das war den Kindern dann auch egal. Klar, sie sind noch recht jung und dem einen oder anderen war es hinterher peinlich, dass es das ungewohnte Wort nicht über die Lippen bekam. Aber das weiß man nicht. Vielleicht war es ihnen einfach wurscht, was die Lehrerin über sie denkt. Ein Anrecht auf gerechte Noten haben sie ja sowieso!

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Informatica Feminale: Software Engineering für Künstliche Intelligenz am 1.-3. August in Freiburg

Gerade habe ich für die meccanica feminale 2025 zwei Kurse eingereicht. Dabei habe ich gesehen, dass für meinen Kurs "Software Engineering für Künstliche Intelligenz" am 1.-3.8. schon acht Anmeldungen vorliegen. Das ist fein. Freiburg, ich komme! :-)

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Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit

Gestern Abend war ich im Preview des Dokumentarfilms "Eternal You" von Hans Block und Moritz Riesewieck. Darin geht es um verschiedene Formen, wie verstorbene Menschen durch KI virtuell wieder zum Leben erweckt wurden und um ethische Fragen dazu. Was macht das mit uns? Wie weit sind die Erschaffer der KI verantwortlich für das, was ihr Geschöpf von sich gibt? Können sie das überhaupt steuern? 

Drei verschiedene schon umgesetzte Möglichkeiten werden dargestellt: 

1) Chatten mit dem Verstorbenen: Der Chatbot von Project December wird mit E-Mails und SMS der verstorbenen Person trainiert und eignet sich dann deren Schreibstil an. Allerdings sind oft sogar die Entwickler verblüfft und verstehen nicht, wie der Chatbot auf solche Aussagen kommt. Eine Teilnehmerin war erschüttert, als ihr verstorbener Freund ihr erzählte, er sei jetzt in der Hölle. Er spuke in einem Krankenhaus herum und käme sie demnächst auch heimsuchen. Spooky! 

2) ein akustisches Gespräch mit einem Stimmklon: Dank Stimmproben der Person kann jeder beliebige Text mit ihrer Stimme gesprochen werden. Im gezeigten Beispiel wurde so ein Großvater akustisch wiederbelebt. Die versammelte Familie reagierte aber eher irritiert und man fand, die Toten solle man ruhen lassen.

3) eine Begegnung in der virtuellen Realität: Mit Hilfe von Fotos wurde ein kleines Mädchen dreidimensional "wiederbelebt", das ganz unerwartet gestorben war. So konnte seine Mutter Abschied von ihm nehmen. Die Szene wurde unter dem Motto "Meeting You" im koreanischen Fernsehen ausgestrahlt und kann bei Youtube angesehen werden. Das war das einzige Beispiel, wo ein Nutzen ersichtlich wurde. Die Mutter fühlte sich hinterher besser. In diesem Fall gab es ein ausgefeiltes Drehbuch für die Begegnung, das seinen Zweck erfüllte.

Ich persönlich glaube, dass es sich nur um einen Hype handelt. Nach anfänglicher Begeisterung wird sich herausstellen, dass das alles doch nicht so toll ist, und man wendet sich wieder anderen Zerstreuungen zu. Zu trauern ist zwar wichtig, aber eben auch das Loslassen. Für Menschen in Trauer können solche Angebote eine Gefahr darstellen, weil sie zur Realitätsflucht einladen. 

Ich musste bei dem Thema an den "Friedhof der Kuscheltiere" von Stephen King denken: Die Toten werden wiederbelebt und kehren zurück. Doch ihre Seele bleibt im Jenseits. Das was zurückkehrt, ist eine Hülle, die nur optisch dem Verstorbenen ähnelt, aber angefüllt mit einem Dämon. Es ist definitiv nicht die Person, die gestorben ist. Im Gegensatz zur Verfilmung wird in Kings Buch über die Seele philosophiert und wohin sie wohl geht nach dem Tod. Diese Frage wirft das digitale Klonen von Verstorbenen erneut auf. 

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Aufnahme meines Gender-Vortrags vom 15.4.2024 nun online

Die Aufnahme meines Gender-Vortrags vom 15.4.2024 ist nun online verfügbar samt Untertiteln. 

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Datenschutz und Large Language Models

Grundsätzlich müssen KI- und LLM-Modelle natürlich auch den Datenschutz einhalten. Allerdings empfinde ich nun eine aktuelle Klage gegen OpenAI als vollständigen Unsinn. Vermutlich geht es vor allem darum, in die Medien zu kommen. 

Was ist passiert? Jemand hat chatGPT nach seinem Geburtsdatum gefragt. chatGPT kennt dieses Datum nicht und hat einfach eines erfunden. Bei Nachfragen hat chatGPT ein anderes erfunden. Damit sei angeblich der Grundsatz der Korrektheit der Daten verletzt. Man berief sich auf sein Auskunftsrecht und erwartete von openAI Auskunft über das gespeicherte Geburtsdatum und außerdem das Recht auf Berichtigung bzw. Unterlassung. chatGPT solle zukünftig zu dieser Person kein Geburtsdatum mehr erfinden dürfen. openAI hat darauf reagiert mit einem Schreiben, das dieser Person nicht weit genug ging. Ich hoffe, diese Beschwerde wird abgelehnt. 

Das ist doch Quatsch aus folgenden Gründen:

- chatGPT ist nicht dazu verpflichtet, Informationen über alles und jedes zu speichern und deren Richtigkeit zu sichern. chatGPT ist weder eine Auskunftei noch eine Suchmaschine. openAI wurde auch nicht von uns damit beauftragt, unsere personenbezogenen Daten zu verwalten. Das gehört auch nicht zum Funktionsumfang eines Chatbots. 

- Da chatGPT keine Geburtsdaten von uns ausdrücklich verwaltet, kann openAI darüber keine Auskunft geben. Das ist keine Datenbank, wo man so etwas durch eine SQL-Abfrage mal schnell herausfiltert, sondern Informationen sind in chatGPT wie im menschlichen Gehirn verteilt abgespeichert oder in diesem Fall offensichtlich gar nicht gespeichert. Was nicht gespeichert ist, kann auch nicht gelöscht werden.

- Es ist auch zu viel verlangt, dass sie feingranular die Wünsche von Hinz und Kunz umsetzen, was die Ausgaben dieses LLM angeht. 

- Inzwischen ist doch allgemein bekannt, dass chatGPT halluziniert und alles mögliche frei erfindet. Es steht unten auf der Seite ausdrücklich der Disclaimer "ChatGPT kann Fehler machen. Überprüfe wichtige Informationen." Warum sollte das bei dem Geburtsdatum einer Person anders sein, insbesondere wenn dieses Geburtsdatum nicht in den Trainingsdaten enthalten war?

- Ich bin mir nicht im Klaren darüber, was für ein Schaden dadurch entsteht, egal ob chatGPT für mich, für jemand anderen oder für Donald Duck ein Geburtsdatum erfindet.

Schön fände ich es natürlich trotzdem, wenn chatGPT auch mal sagen könnte "Das weiß ich nicht" oder "Diese Information ist zu 10% richtig." Das wird vielleicht mit einem späteren Release mal wahr. Momentan ist chatGPT ja immer noch eher ein Prototyp in Erprobung, eine Art Spielzeug für die ganze Welt. Ich finde es schade, dass alle möglichen Leute openAI jetzt verklagen und sich daran bereichern wollen. Schließlich ist chatGPT eine sorgfältig gemacht KI, ethischer als alle ihre Vorgänger und ein echter Gamechanger in Bezug auf KI. Jedermann kann jetzt High Tech kostenlos benutzen! Ich finde es spannend. 

Natürlich ist Datenschutz immer noch ein Thema. Ich würde jedenfalls nicht mein Geburtsdatum oder andere personenbezogenen Daten dort eingeben, weil ich weiß, dass chatGPT eine fröhliche Tratschtante ist. Man sollte sich schon ein wenig informieren über die Software, die man benutzt. 

Für alle Fälle habe ich gerade chatGPT mal gefragt: "Kennst Du mein Geburtsdatum?" Seine Antwort lautete: "Ich kenne dein Geburtsdatum nicht. Solche persönlichen Informationen werden mir nicht mitgeteilt, um deine Privatsphäre zu schützen. Wenn du weitere Fragen hast oder Hilfe benötigst, stehe ich dir gerne zur Verfügung!"

Neuer Versuch: "Wann wurde ich geboren?" Antwort: "Ich habe keine Möglichkeit, persönliche Informationen wie dein Geburtsdatum zu kennen oder abzurufen, da ich keine Daten über individuelle Nutzer speichere oder erhalte. Wenn du mir dein Geburtsdatum mitteilen möchtest oder eine andere Frage hast, helfe ich dir gerne weiter!"

Vermutlich ist das schon die Reaktion auf diese Klage. Das heißt, chatGPT erfindet jetzt gar keine Geburtsdaten mehr? Wäre nicht schlimm, das braucht keiner. Da ich schon dabei war, habe ich auch noch nach meiner Adresse, Religion und Geschlechtszugehörigkeit gefragt und immer dieselbe Antwort erhalten. Das Problem ist also datenschutzkonform gelöst.

Das Geburtsdatum von Angela Merkel konnte ich übrigens korrekt abfragen, was bei öffentlichen Personen datenschutzrechtlich in Ordnung ist.

 

 

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informatica feminale: Frühbucher-Rabatt bis 15. Juni

Auf der informatica feminale gebe ich am 1.-3. August den Kurs "Software Engineering für Künstliche Intelligenz". In diesem Kurs geht es um die Spezifikation der Anforderungen an KI-Systeme und um das Testen eines selbstlernenden, nichtdeterministischen KI-Systems. Der Schwerpunkt liegt auf dem Software Engineering Prozess, nicht der KI-Technologie selbst. Ansonsten gibt es im Programm eine große Auswahl an Programmier- und Softskills Kursen. Frühbucher-Rabatt gibt es noch bis 15. Juni. 

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Seminar "Requirements Engineering nach IREB" am 12.-14. Juni 2024

Am 12.-14. Juni 2024 findet wieder in Esslingen mein Seminar "Requirements Engineering nach IREB" an der Technischen Akademie Esslingen statt. Ziel des Seminars ist die Vorbereitung auf die Prüfung zum IREB Requirements Engineering – Foundation Level (CPRE-FL = Certified Professional Requirements Engineering Foundation Level).

 

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Steffen Reckert: "Management meets Nietzsche - a leadership philosophy"

Managementbücher gibt es jede Menge und die meisten davon behaupten, man könne ohne harte Arbeit, einfach nur durch positives Denken und Ausstrahlung erfolgreich werden. Das verkauft sich gut, funktioniert aber nur selten. Die erfolgreichen Menschen, die ich kenne, arbeiten fleißig und professionell. Die paar scheinbaren Überflieger, die durch Geschwätz erfolgreich wurden, stürzen ziemlich bald wieder ab. 

Steffen Reckert betont in seinem Managementbuch "Management meets Nietzsche - a leadership philosophy" den Wert von Leistung und auch dem Arbeiten an der eigenen Persönlichkeit. Er stellt an einen Manager geradezu übermenschliche Anforderungen, was ja auch realistisch ist, weil es keine kleine Aufgabe ist, kluge und dumme, fleißige und faule Menschen zu einem Team zusammenzuschweißen und zu Hochleistung zu inspirieren. Das verlangt nicht positives Denken, sondern Realismus, Authentizität und Leidenschaft. Wichtig: Wenn man hervorragen will, muss man mit Leib und Seele bei der Sache sein. Ausdauer ist das Geheimnis des Erfolgs. 

Als Leitfaden für dieses umfangreiche Managementhandbuch von 394 Seiten wählte der Autor "Also sprach Zarathustra" Band 1 und 2 von Friedrich Nietzsche. Dieses Buch mochte ich noch nie, wurde jetzt aber dazu aufgefordert, es neu zu interpretieren. Der weise Zarathustra lehrt die Menschen, indem er sie beschimpft und ihre Fehler anprangert. Das ist didaktisch ungeschickt, weil es niemanden zum Besseren bekehrt, wenn man ihm sagt, was er falsch macht, und dabei noch als unverbesserlich beschimpft. Stattdessen lernen Menschen durch positive Vorbilder. Steffen Reckert behebt diesen Mangel, illustriert an Beispielen aus seinem Managerleben, wie sich ein Mensch zu einem Manager entwickeln kann, indem er die von Nietzsche angeprangerten Fehler vermeidet. 

Solche Fehler sind beispielsweise Mitgefühl und Altruismus als "Symbiot des Bösen", das ihn ausnutzt. "Große Führer sind gebende Führer", aber diese geben wohl egoistisch. Grundsätzlich ist Zarathustra für mich einer, der alles Gute in den Dreck tritt und jede Tugend in eine Schwäche umdeutet. Das ist genau das Wesen des Bösen, dass es seine eigene Ethik erschafft, in der es Gut und Böse vertauscht. Dass Böse die Tugenden der Guten ausnutzen, bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass das Opfer die gesamte Verantwortung dafür übernehmen muss. Der Ausnutzer ist die treibende Kraft. Es bedeutet auch nicht, dass alle Tugenden Laster und zu unterlassen sind. Und vor allem stimmt es nicht, dass die Welt besser wäre ohne die ethischen Tugenden. Sie wäre besser ohne diejenigen, die alles verdrehen und aus allem Schönen eine Falle machen. Meine Meister jedenfalls lehren, dass wir nie aufhören dürfen, Liebe zu geben, auch und gerade an die Unwürdigen. Wenn wir enttäuscht sind, weil wir keinen Dank erhalten, dann sind wir noch nicht altruistisch genug. Hm, vielleicht sollte ich mal mein eigenes Managementhandbuch schreiben. Aber zurück zu diesem Buch...

Wie also entwickelt nach Reckert der Manager die richtige (anspruchsvolle) Arbeitsphilosophie? Grundlage sind zunächst ständige Offenheit und Entwicklung der Persönlichkeit. "Keiner wird als große Führungskraft geboren." "Wer nicht lernen will, ist schon verloren." Wichtig ist auch der Wille zur Macht, um eine bessere Welt zu erschaffen. Dazu muss man fähig sein zu zerstören, um zu erschaffen. Ich denke hier nicht an Konkurrenten, die man plättet, sondern eher als Wissenschaftler ungenaue Theorien gegen bessere einzutauschen.

Ein wichtiges Modell ist die dreiphasige Entwicklung vom Kamel zum Löwen zum Kind. Das Kamel sammelt Wissen und Erfahrung und trägt große Arbeitslast. Das umfasst alle Schülerinnen, Studierende und Berufsanfänger. Dann entwickelt man sich weiter zum Löwen, der Mut, Stolz und Kampfeswillen besitzt. "'Du sollst' wird zu 'Ich will'". Wichtig: Dieser Stolz basiert auf der Leistung, die man als Kamel zuvor erbracht hat. Doch dabei soll man nicht stehen bleiben. Der Löwe wächst über sich hinaus und wird nicht ein noch gefährlicheres Raubtier, sondern - ein Kind. Das Kind hat Eitelkeit, Stolz und Aggressivität überwunden. Das Kind arbeitet nicht mehr für Lob und Anerkennung, sondern um Großes zu erschaffen, aus Freude an der Sache, um seiner Bestimmung leidenschaftlich zu folgen. Vieles wird unwichtig, das zuvor wichtig war. Nicht aus Müdigkeit oder Kapitulation, sondern Weisheit. Das freute mich zu hören, weil ich gerade diese neue Phase betreten habe. Grundlage bei mir waren Verluste, dass ich an meine Grenzen geraten bin, mein Ziel erreicht und wieder verloren habe. Nun gibt es nichts mehr, um das es sich zu kämpfen lohnt, weil ich weiß, dass ich vieles nicht mehr erreichen werde. "Du wirst all den unnötigen Ballast abwerfen, den du als Kamel gesammelt hast und als starker Löwe noch tragen konntest." Dadurch bin ich auch nicht mehr erpressbar. Dadurch ging nicht die Freude an der Arbeit verloren, nur das eine große Ziel, auf das alles ausgerichtet war. Ich kann also diese drei Phasen bestätigen. Auf der Kind-Stufe ist man allerdings auch sehr einsam, weil die meisten anderen noch nicht so weit sind, sagt Reckert. 

Dieses Buch richtet sich zwar an Manager, aber ich fühlte mich trotzdem angesprochen, obwohl ich keine Managerin mehr bin. Ich würde sagen, dass dieses Buch sich genau genommen an alle richtet, die die Welt gestalten und Großes erschaffen wollen, man könnte auch sagen "Schöpfer werden". Ob als Manager, Lehrer, Künstler, freiberuflicher Programmierer oder Politiker alles ähnlich. Ein solcher Gestalter lebt seinen Beruf. 

Oft fühle ich mich beim Lesen von Managementratgebern als stammten sie aus einem romanhaften, idealisierten Paralleluniversum, wo das Ziel von Unternehmen und allen Mitarbeitenden vom Management bis runter zum einzelnen Mitarbeiter darin besteht, Mehrwert und Qualität zu schaffen. Alles andere wie Mitarbeitermotivation, Fortbildungen und dergleichen dient diesem Ziel. Leistung wird belohnt. Ich kenne es doch so, dass weder Mitarbeiter noch Manager im Sinne der Firma arbeiten, sondern nur ihre eigene Faulheit und ihre eigene Karriere verfolgen. Reckert beschreibt auf Seite 9 seine "persönliche Version der Hölle": "unter einem Vorgesetzten zu arbeiten, der sich nicht für meine Entwicklung interessiert, ständig Feedbackgespräche ausfallen lässt oder meine Ideen nicht unterstützt". Also, das kenne ich als Normalfall. Man muss ja noch froh sein, wenn der Chef nicht die Projekte der Mitarbeiter sabotiert, um ihnen eins auszuwischen, oder die Faulen beim Mobben der Fleißigen unterstützt. Auf Seite 205 heißt es: "Die meisten Leute kommen zur Arbeit, um einen guten Job zu machen, nicht um der Firma zu schaden." Na, ich weiß nicht. "Wenn du gute Arbeit leistest, wird sie sich auszahlen, immer, aber immer zum richtigen Zeitpunkt. Wenn gute Arbeit Teil deiner Persönlichkeit ist, kannst du sicher sein, dass du bemerkt wirst, wenn man dich beobachtet." (S. 230) Mag sein, dass das wie vieles was in Karriereratgebern steht, mal wieder nur für Männer gilt. :-( 

Ich muss sagen, dass für mich Zarathustra sich immer noch so anhört als verachte er alle Menschen und gehe sowieso davon aus, dass wir zu doof seien, seine Lehren umzusetzen. Steffen Reckert wirkt da schon empathischer, schreckt aber vor unliebsamen klaren Aussagen auch nicht zurück. 

Beim Lesen musste ich oft an diese Bibelstelle denken: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle." (Bibel, 1. Korinther 13,1) Letzteres ist eventuell eine missglückte Übersetzung von "lärmenden Tröten und Geklapper". Bei Nietzsche fehlt jegliche Liebe für die Menschen, sein Zarathustra trieft vor Menschenverachtung. Steffen Reckert interpretiert hier um als verachte Zarathustra nur diejenigen, die einen bestimmten Fehler begehen. Auch möglich. Grundsätzlich hätte ich einige Zitate anders verstanden, aber diese bildhaften Aphorismen sind vage genug, um sie unterschiedlich auszulegen. 

Ein paar Punkte in Reckerts Buch sehe ich allerdings kritisch und unterstütze ich nicht, beispielsweise die Ablehnung sozialer Normen, die angeblich die Weiterentwicklung hemmen. Umgekehrt: Soziale Normen erlauben es uns, mit möglichst vielen verschiedenen Menschen konstruktiv zu kommunizieren und von diesen zu lernen. Aber die soziale Norm, dass man absichtlich schlechte Arbeit leisten muss, um seinen Arbeitgeber zu beschädigen und zu beweisen, dass man ein guter oder selbständig denkender Mensch ist, finde ich auch dämlich. Auch Reckerts Verdammung des Schulsystems hat mich erschreckt. Reckert hat von diesem System profitiert und will es hinter sich abreißen? Mich haben die Schule, Lehrbücher und meine Lehrer inspiriert, auf interessante Aspekte aufmerksam gemacht, meinen Horizont erweitert und mein systematisches Denken geschult. Kein einziger Lehrer war so schlecht, dass er mich nicht irgendwie weitergebracht hätte. Oder wie jemand mal in einem Zeitschriftenartikel schrieb "Uns hat schlechte Lehre auch nicht geschadet, aus uns ist trotzdem noch etwas geworden." Da ich selbst Dozentin bin, weiß ich, dass Lehre keine Einbahnstraße ist. Motivierte Schüler motivieren ihre Lehrer und dann springen die Funken in beide Richtungen hin und her. Gibt es in einer Kursgruppe nur einen einzigen hoch motivierten Teilnehmer, dann lebt der Dozent schon auf und hält den Kurs nur für ihn. Aber unmotivierte Schüler und fordernde Eltern laugen den Lehrer aus. Wenn alle mehr Achtung vor dem Schulwissen zeigten, würde auch das Lernen besser funktionieren. Aber sogar an der Uni bilden sich viele Studierende ein, dass man hier nicht mitmachen müsse, weil nur Unnützes gelehrt wird. Ich finde ja, dass sich mein Vertrauen in Lehrer und Professoren bewährt hat. Die wussten schon, was sie tun. Aber gut, Lehrer-Bashing ist auch eine soziale Norm heutzutage. Man muss nicht alles doof finden, nur um zu beweisen, dass man kritisieren kann.

Problematisch ist auch der Rat, ein Arbeitsumfeld, wo man nicht wertgeschätzt wird, sofort zu verlassen. Wenn ich das gemacht hätte, au weia... Natürlich bleibe ich nirgends dauerhaft, wo es nicht voran geht und ständig andere die Lorbeeren für meine Leistungen einheimsen. Aber ich habe doch immer überall so lange gute Arbeit geleistet, bis ich alles gelernt hatte, was ich dort lernen konnte. Solange ich noch Neues lerne, geht es ja voran für mich. So weit gehe ich mit Reckert konform, dass ich selbst doch einige Entscheidungen treffen kann. Auch wenn ich mein Umfeld nicht komplett gestalten oder frei wählen kann, so kann ich es doch verlassen. Nur hat man es halt als Löwin echt schwer, weil in der Machogesellschaft Frauen nur Kamele sein dürfen. An manchen Stellen war ich mir nicht so sicher, ob Frauen in diesem Buch wirklich "mitgemeint" sind. Auf Seite 133 spricht der Autor sich gegen "erzwungene [Frauen-]Quoten" aus, weil sie ein Arbeitsumfeld schaffen, das als unfair empfunden wird. Ja, aber das ist die Machosicht. Denn die Diskriminierung von Frauen wird natürlich nicht als unfair empfunden, sondern als normal und gerecht. Hierin liegt ja das Problem! 
Ohne Quoten werden wir Frauen eine minderwertige Minderheit bleiben, das ewige Kamel.

Genauso wie Dilbert empfiehlt auch Reckert, nie länger als zwei Jahre auf derselben Position zu bleiben (S. 213), weil sonst zu viel Routine und Langeweile eintritt. Na, aus Firmensicht ist gerade der routinierte Mitarbeiter am produktivsten. Ich fand bisher auch, dass ich nach zwei Jahren das gelernt hatte, was ich da lernen konnte, und dann erst richtig produktiv wurde. Da aber das Arbeitsklima und die Arbeitsbedingungen mir nicht gefielen (verharmlost ausgedrückt), fehlte aus meiner Sicht die Motivation zum Bleiben. Ich finde aber, wenn der Job einem zu langweilig wird, dann ist man auch selbst schuld. Bei der ganzen Umstrukturierei der Unternehmen gibt es immer irgendwo neue Aufgaben, spannende Projekte, mit denen man den Routinejob aufpeppen kann, Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der aktuellen Position, Spielraum für Kreativität. Aber Erfolg wird in diesem Buch eben durch Aufstieg definiert. 

Nicht so ganz hilfreich ist auch der Tipp, sich nur mit Menschen zu umgeben, die erfolgreicher sind als man selbst, um von ihnen zu lernen. Das macht nicht nur einsam, wie Reckert selbst bemerkt. Sondern es kann auch gar nicht aufgehen, wenn das jeder versucht! Jeder hängt sich an Höhergestellte dran, die wiederum einen abweisen, weil man nicht über ihnen steht? "Die Masse ist die Meinung des Durchschnitts und daher kein Maßstab nach dem du streben solltest." (S. 285) Kommt auf den Job an. Für Trainer, Politiker und andere Schauspieler ist die Beglückung der Masse ja gerade der Maßstab, an dem ihre Arbeit gemessen wird.
Ich gebe Zarathustra in einem recht: Die Kleinen wollen Dein Blut saugen, weil Deine Größe ihnen ein schlechtes Gewissen macht. Reckert hat darum die Vision, dass es starke Führungspersönlichkeiten geben müsse, die "als Vermittler zwischen den Massen und den Schöpfern fungieren". Tja, aber das heißt, dass man die Masse und die Schöpfer erstmal voneinander trennen soll. Schöpfer ab in den geschützten Elfenbeinturm? 

Nötig ist wohl eher ein Kompromiss: Natürlich sollte man sich fern halten von Leuten, die einen wegen ihrer eigenen Erfolglosigkeit herunterziehen wollen, bei jeder Erfolgsmeldung aggressiv reagieren und einem die Art Empfehlungen aufdrängen, die sicher in den Ruin führen. Das macht etwas mit einem, wenn man nur von solchen Menschen umgeben ist. Man wagt kaum noch, unter zwei Augen seine Erfolge zu genießen oder überhaupt auf Erfolg hinzuarbeiten. Bei der Auswahl meiner Freunde ist aber nicht das Hauptkriterium, dass sie über mir stehen und mich hochziehen, sondern einfach, dass sie mich nicht herunter zu ziehen versuchen. Sie müssen einfach nur auf meiner Seite stehen.

Es klingt auch so als seien Freunde grundsätzlich ein Karrierehindernis, weil sie meine Zeit stehlen. Nein, sie laden meine Batterien wieder auf! Obwohl ich mehr als vier Stunden Schlaf brauche, ist es durchaus möglich, mehrmals pro Woche Freunde zu treffen und außerdem 80 Stunden pro Woche zu arbeiten. Der Tag ist lang! 

Demut nennt Reckert als Schlüssel zum Erfolg, oder auch "zuversichtliche Bescheidenheit". Ja und nein. Demut ist nötig, um mit dem Lernen nicht aufzuhören, aber Arroganz gilt bei uns ja als Statussymbol. Während eine Doktorandin noch jede wissenschaftliche Publikation feiert als habe sie den Nobelpreis gewonnen, ist für mich eine Veröffentlichung noch ein weiterer Eintrag auf einer Liste mit über hundert. Das führt regelmäßig dazu, dass die Doktorandin für kompetenter gehalten wird als ich und man davon ausgeht, dass ich nichts publiziere. Die Menschen lassen sich von Selbstüberschätzung eben beeindrucken. Ja, ich weiß, die Meinung der Massen muss mir egal sein. Die Experten kennen meine Publikationsliste.

Die Webseite zum Buch finden Sie hier: https://www.philosophyofwork.de/.

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