Managementbücher gibt es jede Menge und die meisten davon behaupten, man könne ohne harte Arbeit, einfach nur durch positives Denken und Ausstrahlung erfolgreich werden. Das verkauft sich gut, funktioniert aber nur selten. Die erfolgreichen Menschen, die ich kenne, arbeiten fleißig und professionell. Die paar scheinbaren Überflieger, die durch Geschwätz erfolgreich wurden, stürzen ziemlich bald wieder ab.
Steffen Reckert betont in seinem Managementbuch "Management meets Nietzsche - a leadership philosophy" den Wert von Leistung und auch dem Arbeiten an der eigenen Persönlichkeit. Er stellt an einen Manager geradezu übermenschliche Anforderungen, was ja auch realistisch ist, weil es keine kleine Aufgabe ist, kluge und dumme, fleißige und faule Menschen zu einem Team zusammenzuschweißen und zu Hochleistung zu inspirieren. Das verlangt nicht positives Denken, sondern Realismus, Authentizität und Leidenschaft. Wichtig: Wenn man hervorragen will, muss man mit Leib und Seele bei der Sache sein. Ausdauer ist das Geheimnis des Erfolgs.
Als Leitfaden für dieses umfangreiche Managementhandbuch von 394 Seiten wählte der Autor "Also sprach Zarathustra" Band 1 und 2 von Friedrich Nietzsche. Dieses Buch mochte ich noch nie, wurde jetzt aber dazu aufgefordert, es neu zu interpretieren. Der weise Zarathustra lehrt die Menschen, indem er sie beschimpft und ihre Fehler anprangert. Das ist didaktisch ungeschickt, weil es niemanden zum Besseren bekehrt, wenn man ihm sagt, was er falsch macht, und dabei noch als unverbesserlich beschimpft. Stattdessen lernen Menschen durch positive Vorbilder. Steffen Reckert behebt diesen Mangel, illustriert an Beispielen aus seinem Managerleben, wie sich ein Mensch zu einem Manager entwickeln kann, indem er die von Nietzsche angeprangerten Fehler vermeidet.
Solche Fehler sind beispielsweise Mitgefühl und Altruismus als "Symbiot des Bösen", das ihn ausnutzt. "Große Führer sind gebende Führer", aber diese geben wohl egoistisch. Grundsätzlich ist Zarathustra für mich einer, der alles Gute in den Dreck tritt und jede Tugend in eine Schwäche umdeutet. Das ist genau das Wesen des Bösen, dass es seine eigene Ethik erschafft, in der es Gut und Böse vertauscht. Dass Böse die Tugenden der Guten ausnutzen, bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass das Opfer die gesamte Verantwortung dafür übernehmen muss. Der Ausnutzer ist die treibende Kraft. Es bedeutet auch nicht, dass alle Tugenden Laster und zu unterlassen sind. Und vor allem stimmt es nicht, dass die Welt besser wäre ohne die ethischen Tugenden. Sie wäre besser ohne diejenigen, die alles verdrehen und aus allem Schönen eine Falle machen. Meine Meister jedenfalls lehren, dass wir nie aufhören dürfen, Liebe zu geben, auch und gerade an die Unwürdigen. Wenn wir enttäuscht sind, weil wir keinen Dank erhalten, dann sind wir noch nicht altruistisch genug. Hm, vielleicht sollte ich mal mein eigenes Managementhandbuch schreiben. Aber zurück zu diesem Buch...
Wie also entwickelt nach Reckert der Manager die richtige (anspruchsvolle) Arbeitsphilosophie? Grundlage sind zunächst ständige Offenheit und Entwicklung der Persönlichkeit. "Keiner wird als große Führungskraft geboren." "Wer nicht lernen will, ist schon verloren." Wichtig ist auch der Wille zur Macht, um eine bessere Welt zu erschaffen. Dazu muss man fähig sein zu zerstören, um zu erschaffen. Ich denke hier nicht an Konkurrenten, die man plättet, sondern eher als Wissenschaftler ungenaue Theorien gegen bessere einzutauschen.
Ein wichtiges Modell ist die dreiphasige Entwicklung vom Kamel zum Löwen zum Kind. Das Kamel sammelt Wissen und Erfahrung und trägt große Arbeitslast. Das umfasst alle Schülerinnen, Studierende und Berufsanfänger. Dann entwickelt man sich weiter zum Löwen, der Mut, Stolz und Kampfeswillen besitzt. "'Du sollst' wird zu 'Ich will'". Wichtig: Dieser Stolz basiert auf der Leistung, die man als Kamel zuvor erbracht hat. Doch dabei soll man nicht stehen bleiben. Der Löwe wächst über sich hinaus und wird nicht ein noch gefährlicheres Raubtier, sondern - ein Kind. Das Kind hat Eitelkeit, Stolz und Aggressivität überwunden. Das Kind arbeitet nicht mehr für Lob und Anerkennung, sondern um Großes zu erschaffen, aus Freude an der Sache, um seiner Bestimmung leidenschaftlich zu folgen. Vieles wird unwichtig, das zuvor wichtig war. Nicht aus Müdigkeit oder Kapitulation, sondern Weisheit. Das freute mich zu hören, weil ich gerade diese neue Phase betreten habe. Grundlage bei mir waren Verluste, dass ich an meine Grenzen geraten bin, mein Ziel erreicht und wieder verloren habe. Nun gibt es nichts mehr, um das es sich zu kämpfen lohnt, weil ich weiß, dass ich vieles nicht mehr erreichen werde. "Du wirst all den unnötigen Ballast abwerfen, den du als Kamel gesammelt hast und als starker Löwe noch tragen konntest." Dadurch bin ich auch nicht mehr erpressbar. Dadurch ging nicht die Freude an der Arbeit verloren, nur das eine große Ziel, auf das alles ausgerichtet war. Ich kann also diese drei Phasen bestätigen. Auf der Kind-Stufe ist man allerdings auch sehr einsam, weil die meisten anderen noch nicht so weit sind, sagt Reckert.
Dieses Buch richtet sich zwar an Manager, aber ich fühlte mich trotzdem angesprochen, obwohl ich keine Managerin mehr bin. Ich würde sagen, dass dieses Buch sich genau genommen an alle richtet, die die Welt gestalten und Großes erschaffen wollen, man könnte auch sagen "Schöpfer werden". Ob als Manager, Lehrer, Künstler, freiberuflicher Programmierer oder Politiker alles ähnlich. Ein solcher Gestalter lebt seinen Beruf.
Oft fühle ich mich beim Lesen von Managementratgebern als stammten sie aus einem romanhaften, idealisierten Paralleluniversum, wo das Ziel von Unternehmen und allen Mitarbeitenden vom Management bis runter zum einzelnen Mitarbeiter darin besteht, Mehrwert und Qualität zu schaffen. Alles andere wie Mitarbeitermotivation, Fortbildungen und dergleichen dient diesem Ziel. Leistung wird belohnt. Ich kenne es doch so, dass weder Mitarbeiter noch Manager im Sinne der Firma arbeiten, sondern nur ihre eigene Faulheit und ihre eigene Karriere verfolgen. Reckert beschreibt auf Seite 9 seine "persönliche Version der Hölle": "unter einem Vorgesetzten zu arbeiten, der sich nicht für meine Entwicklung interessiert, ständig Feedbackgespräche ausfallen lässt oder meine Ideen nicht unterstützt". Also, das kenne ich als Normalfall. Man muss ja noch froh sein, wenn der Chef nicht die Projekte der Mitarbeiter sabotiert, um ihnen eins auszuwischen, oder die Faulen beim Mobben der Fleißigen unterstützt. Auf Seite 205 heißt es: "Die meisten Leute kommen zur Arbeit, um einen guten Job zu machen, nicht um der Firma zu schaden." Na, ich weiß nicht. "Wenn du gute Arbeit leistest, wird sie sich auszahlen, immer, aber immer zum richtigen Zeitpunkt. Wenn gute Arbeit Teil deiner Persönlichkeit ist, kannst du sicher sein, dass du bemerkt wirst, wenn man dich beobachtet." (S. 230) Mag sein, dass das wie vieles was in Karriereratgebern steht, mal wieder nur für Männer gilt. :-(
Ich muss sagen, dass für mich Zarathustra sich immer noch so anhört als verachte er alle Menschen und gehe sowieso davon aus, dass wir zu doof seien, seine Lehren umzusetzen. Steffen Reckert wirkt da schon empathischer, schreckt aber vor unliebsamen klaren Aussagen auch nicht zurück.
Beim Lesen musste ich oft an diese Bibelstelle denken: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle." (Bibel, 1. Korinther 13,1) Letzteres ist eventuell eine missglückte Übersetzung von "lärmenden Tröten und Geklapper". Bei Nietzsche fehlt jegliche Liebe für die Menschen, sein Zarathustra trieft vor Menschenverachtung. Steffen Reckert interpretiert hier um als verachte Zarathustra nur diejenigen, die einen bestimmten Fehler begehen. Auch möglich. Grundsätzlich hätte ich einige Zitate anders verstanden, aber diese bildhaften Aphorismen sind vage genug, um sie unterschiedlich auszulegen.
Ein paar Punkte in Reckerts Buch sehe ich allerdings kritisch und unterstütze ich nicht, beispielsweise die Ablehnung sozialer Normen, die angeblich die Weiterentwicklung hemmen. Umgekehrt: Soziale Normen erlauben es uns, mit möglichst vielen verschiedenen Menschen konstruktiv zu kommunizieren und von diesen zu lernen. Aber die soziale Norm, dass man absichtlich schlechte Arbeit leisten muss, um seinen Arbeitgeber zu beschädigen und zu beweisen, dass man ein guter oder selbständig denkender Mensch ist, finde ich auch dämlich. Auch Reckerts Verdammung des Schulsystems hat mich erschreckt. Reckert hat von diesem System profitiert und will es hinter sich abreißen? Mich haben die Schule, Lehrbücher und meine Lehrer inspiriert, auf interessante Aspekte aufmerksam gemacht, meinen Horizont erweitert und mein systematisches Denken geschult. Kein einziger Lehrer war so schlecht, dass er mich nicht irgendwie weitergebracht hätte. Oder wie jemand mal in einem Zeitschriftenartikel schrieb "Uns hat schlechte Lehre auch nicht geschadet, aus uns ist trotzdem noch etwas geworden." Da ich selbst Dozentin bin, weiß ich, dass Lehre keine Einbahnstraße ist. Motivierte Schüler motivieren ihre Lehrer und dann springen die Funken in beide Richtungen hin und her. Gibt es in einer Kursgruppe nur einen einzigen hoch motivierten Teilnehmer, dann lebt der Dozent schon auf und hält den Kurs nur für ihn. Aber unmotivierte Schüler und fordernde Eltern laugen den Lehrer aus. Wenn alle mehr Achtung vor dem Schulwissen zeigten, würde auch das Lernen besser funktionieren. Aber sogar an der Uni bilden sich viele Studierende ein, dass man hier nicht mitmachen müsse, weil nur Unnützes gelehrt wird. Ich finde ja, dass sich mein Vertrauen in Lehrer und Professoren bewährt hat. Die wussten schon, was sie tun. Aber gut, Lehrer-Bashing ist auch eine soziale Norm heutzutage. Man muss nicht alles doof finden, nur um zu beweisen, dass man kritisieren kann.
Problematisch ist auch der Rat, ein Arbeitsumfeld, wo man nicht wertgeschätzt wird, sofort zu verlassen. Wenn ich das gemacht hätte, au weia... Natürlich bleibe ich nirgends dauerhaft, wo es nicht voran geht und ständig andere die Lorbeeren für meine Leistungen einheimsen. Aber ich habe doch immer überall so lange gute Arbeit geleistet, bis ich alles gelernt hatte, was ich dort lernen konnte. Solange ich noch Neues lerne, geht es ja voran für mich. So weit gehe ich mit Reckert konform, dass ich selbst doch einige Entscheidungen treffen kann. Auch wenn ich mein Umfeld nicht komplett gestalten oder frei wählen kann, so kann ich es doch verlassen. Nur hat man es halt als Löwin echt schwer, weil in der Machogesellschaft Frauen nur Kamele sein dürfen. An manchen Stellen war ich mir nicht so sicher, ob Frauen in diesem Buch wirklich "mitgemeint" sind. Auf Seite 133 spricht der Autor sich gegen "erzwungene [Frauen-]Quoten" aus, weil sie ein Arbeitsumfeld schaffen, das als unfair empfunden wird. Ja, aber das ist die Machosicht. Denn die Diskriminierung von Frauen wird natürlich nicht als unfair empfunden, sondern als normal und gerecht. Hierin liegt ja das Problem!
Ohne Quoten werden wir Frauen eine minderwertige Minderheit bleiben, das ewige Kamel.
Genauso wie Dilbert empfiehlt auch Reckert, nie länger als zwei Jahre auf derselben Position zu bleiben (S. 213), weil sonst zu viel Routine und Langeweile eintritt. Na, aus Firmensicht ist gerade der routinierte Mitarbeiter am produktivsten. Ich fand bisher auch, dass ich nach zwei Jahren das gelernt hatte, was ich da lernen konnte, und dann erst richtig produktiv wurde. Da aber das Arbeitsklima und die Arbeitsbedingungen mir nicht gefielen (verharmlost ausgedrückt), fehlte aus meiner Sicht die Motivation zum Bleiben. Ich finde aber, wenn der Job einem zu langweilig wird, dann ist man auch selbst schuld. Bei der ganzen Umstrukturierei der Unternehmen gibt es immer irgendwo neue Aufgaben, spannende Projekte, mit denen man den Routinejob aufpeppen kann, Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der aktuellen Position, Spielraum für Kreativität. Aber Erfolg wird in diesem Buch eben durch Aufstieg definiert.
Nicht so ganz hilfreich ist auch der Tipp, sich nur mit Menschen zu umgeben, die erfolgreicher sind als man selbst, um von ihnen zu lernen. Das macht nicht nur einsam, wie Reckert selbst bemerkt. Sondern es kann auch gar nicht aufgehen, wenn das jeder versucht! Jeder hängt sich an Höhergestellte dran, die wiederum einen abweisen, weil man nicht über ihnen steht? "Die Masse ist die Meinung des Durchschnitts und daher kein Maßstab nach dem du streben solltest." (S. 285) Kommt auf den Job an. Für Trainer, Politiker und andere Schauspieler ist die Beglückung der Masse ja gerade der Maßstab, an dem ihre Arbeit gemessen wird.
Ich gebe Zarathustra in einem recht: Die Kleinen wollen Dein Blut saugen, weil Deine Größe ihnen ein schlechtes Gewissen macht. Reckert hat darum die Vision, dass es starke Führungspersönlichkeiten geben müsse, die "als Vermittler zwischen den Massen und den Schöpfern fungieren". Tja, aber das heißt, dass man die Masse und die Schöpfer erstmal voneinander trennen soll. Schöpfer ab in den geschützten Elfenbeinturm?
Nötig ist wohl eher ein Kompromiss: Natürlich sollte man sich fern halten von Leuten, die einen wegen ihrer eigenen Erfolglosigkeit herunterziehen wollen, bei jeder Erfolgsmeldung aggressiv reagieren und einem die Art Empfehlungen aufdrängen, die sicher in den Ruin führen. Das macht etwas mit einem, wenn man nur von solchen Menschen umgeben ist. Man wagt kaum noch, unter zwei Augen seine Erfolge zu genießen oder überhaupt auf Erfolg hinzuarbeiten. Bei der Auswahl meiner Freunde ist aber nicht das Hauptkriterium, dass sie über mir stehen und mich hochziehen, sondern einfach, dass sie mich nicht herunter zu ziehen versuchen. Sie müssen einfach nur auf meiner Seite stehen.
Es klingt auch so als seien Freunde grundsätzlich ein Karrierehindernis, weil sie meine Zeit stehlen. Nein, sie laden meine Batterien wieder auf! Obwohl ich mehr als vier Stunden Schlaf brauche, ist es durchaus möglich, mehrmals pro Woche Freunde zu treffen und außerdem 80 Stunden pro Woche zu arbeiten. Der Tag ist lang!
Demut nennt Reckert als Schlüssel zum Erfolg, oder auch "zuversichtliche Bescheidenheit". Ja und nein. Demut ist nötig, um mit dem Lernen nicht aufzuhören, aber Arroganz gilt bei uns ja als Statussymbol. Während eine Doktorandin noch jede wissenschaftliche Publikation feiert als habe sie den Nobelpreis gewonnen, ist für mich eine Veröffentlichung noch ein weiterer Eintrag auf einer Liste mit über hundert. Das führt regelmäßig dazu, dass die Doktorandin für kompetenter gehalten wird als ich und man davon ausgeht, dass ich nichts publiziere. Die Menschen lassen sich von Selbstüberschätzung eben beeindrucken. Ja, ich weiß, die Meinung der Massen muss mir egal sein. Die Experten kennen meine Publikationsliste.
Die Webseite zum Buch finden Sie hier: https://www.philosophyofwork.de/.