Bei der Arbeit gibt es auch so etwas wie Jahreszeiten. Im Frühling ist man kreativ und gestaltet, denkt sich Projekte aus und beginnt, daran zu arbeiten. Im Sommer macht man nichts anderes, als die Projekte zu bearbeiten, ohne das Gefühl, jemals fertig zu werden. Und dann, ganz unvermutet, endet die heiße, anstrengende Zeit der täglichen Mühsal. man kann ernten, was man gesät hat. Mehrere Projekte gehen gleichzeitig zu Ende. Meistens folgt dann erstmal das, was ich Meilenstein-Depression nenne. Plötzlich sackt der Adrenalinspiegel ab, ich fühle mich müde und unnütz. Ich schlafe viel und stopfe Socken oder was auch immer über den Sommer liegen geblieben ist. Und erst nach einer angemessenen Winterzeit habe ich genug Energie gesammelt, um erneut zu säen. Dieser Zyklus muss natürlich nicht genau ein Jahr dauern. Je nach der Größe der Projekte können es auch drei Monate oder zwei Jahre sein. Das Mysteriöse ist eben die Synchronizität, mit der ich dann oft ernte. Ich vermute, ich steuere unbewusst die Geschwindigkeiten der Projekte, indem ich meine Energie gleichmäßig auf sie verteile. Momentan ist gerade wieder so eine Phase, wo ich einige größere Projekte abschließe. Manche haben ein halbes Jahr gedauert, andere mehrere Jahre. Ganz ohne Arbeit lässt mich das nicht. Ich hab da noch ein paar andere angefangen, und der Anteil der ständigen Tätigkeiten an meinem Arbeitspensum ist sehr hoch. Beispielsweise schreibe ich jeden Tag mindestens ein Gutachten über irgendetwas. Aber es fühlt sich doch gut an, wenn ein paar Daueraufgaben wegfallen und ich in jedes noch laufende Projekt nun mehr Zeit stecken kann. Ich fange erstmal nicht viel Neues an, außer den Softwaretechnik-Trends.
Was mich traurig stimmt ist, wie viele Menschen im Frühling an meinen Feldern vorbei gehen und sagen: "Warum tust du das? Das wird doch sowieso nichts!" Im Sommer liegen sie im Liegestuhl, sehen mich über den Rand ihrer Sonnenbrille an und sagen: "Du bist ein Idiot, so viel zu arbeiten. Man arbeitet, um zu leben, aber nicht umgekehrt." Aber wenn ich im Herbst ernte, dann sind sie neidisch und hätten auch gerne so große Kartoffeln oder Sonnenblumen. Sie tun so als seien die mir ohne Leistung zugefallen.
Das liegt sicher auch mit daran, dass das heutzutage dem Zeitgeist entspricht. Es wird gerne die Hoffnung verbreitet als liege das Geheimnis zum Erfolg überall, nur nicht in echter Arbeit. Es wird am Schein gearbeitet, aber nicht an Ergebnissen. Man will schnelle Erfolge und bringt nicht die Geduld und Ausdauer für ein zweijähriges Projekt auf. Wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert, sagt man "Es fehlt eben an Begabung" und versucht etwas anderes.
Gleichzeitig geht der Trend aber auch weg von großen Projekten. Wenn die Kunden keine fünftägigen Schulungen mehr buchen, sondern lieber zweistündige Mikrolearnings, bin ich auch schneller vorbereitet. Wenn die Leser keine dicken Bücher mehr wollen, sondern kurze, die man in maximal zwei Stunden lesen kann, dann schreibe ich dünnere Schmöker. Wenn die Zuhörer keine 60-Minuten-Vorträge mehr durchhalten, sondern Pecha Kuchas vorziehen, dann brauche ich weniger Folien. Und so weiter. Dann werden sich bei mir die Jahreszeiten des Arbeitszyklus vermutlich auch schneller abwechseln!